Diamantenschmaus
die Vorstellung, wie die
pathetische Verabschiedung des Lieblings des Wiener Opernpublikums ab dem
Moment aus dem Ruder gelaufen war, als der Verblichene plötzlich aus dem
Jenseits sein letztes Ständchen angestimmt hatte. ›Im Prater blühn wieder die
Bäume‹ und so weiter und so fort.
Und bei der Vorstellung sollte jemand ernst bleiben?
Wilma Bachler, die vor Kurzem das Grandhotel Panhans
verlassen hatte und sich auf dem Weg vom Semmering nach Wien befand, hatte die unfassbare
Nachricht eben übers Autoradio erfahren. Ihre Reaktion darauf vereinte alle
drei beschriebenen Verhaltensmuster in sich.
Sie fand das Geschehen einerseits hart an der Grenze des
Tolerierbaren, vor allem der des guten Geschmacks. Nein, eigentlich bereits
meilenweit davon entfernt. Gleichzeitig brachte sie die Vorstellung eines von
Trauernden umrundeten Sarges, aus dem plötzlich Musik von Robert Stolz erklang,
hellauf zum Lachen. Das wiederum veranlasste ihre noch in homöopathischen Dosen
vorhandene katholische Prägung dazu, sich zusätzlich schuldig zu fühlen.
Und das ganz ohne Chance auf Absolution auf den nächsten 90
Kilometern.
Die beiden hinter ihr liegenden Seminartage waren sehr
interessant, wenngleich ziemlich anstrengend gewesen. Trotz oder gerade wegen
der ausgiebigen Diskussionsrunden im Vital Club, im sprudelnden Elixier des
Whirlpools, der feuchten Schwüle in der Sauna oder unter den kundigen Händen
einer exotischen Masseuse.
Am liebsten wäre Wilma direttamente nach Hause gefahren, in
die Badewanne gehüpft und danach ins Bett. Jedoch hatte Marios Nachricht auf
ihrer Mailbox mehr nach einem Hilferuf geklungen als nach Höflichkeit.
Seit sie ihn vor etwas mehr als vier Monaten allein vor der
Standesbeamtin hatte sitzen lassen, das ist durchaus im wortwörtlichen Sinn zu
verstehen, brach gelegentlich ein Stück seines sonstigen Selbstbewusstseins weg
und ließ einen mehr oder weniger verunsicherten Mann in der Krise seiner
Lebensmitte erkennen.
Einerseits hatte sie so etwas damals irgendwie
beabsichtigt oder zumindest in Kauf genommen. Denn genau seine bis dahin
unverwüstliche Egozentrik, dieses unausgesprochene ›I am the greatest‹, das er
allerdings sehr geschickt hinter einer freundlichen, chevaleresken Art
versteckte, war es gewesen, die ihr auf die Nerven gegangen war und sie
schließlich zu ihrer Entscheidung gegen eine Heirat veranlasst hatte.
Andererseits war Palinski seither immer öfter in
einem Maße verletzlich, dass sie Angst bekam, damals möglicherweise doch übers
Ziel hinaus geschossen zu haben. Wie die meisten Menschen wollte er nicht mehr
und nicht weniger, als geliebt zu werden. In diesem Punkt hatte sie ihn in
letzter Zeit möglicherweise ein wenig vernachlässigt. Dass sie jede Menge vor
allem beruflicher Gründe und damit Entschuldigungen dafür fand, war der Lösung
des Problems in keinster Weise dienlich. Im Gegenteil.
Gut, sie würde Mario bei Mamma Maria treffen, mit
ihm zu Abend essen und sein Selbstwertgefühl wieder ein bisschen aufmöbeln. Ob
das allerdings auch gegen funktionelle Mängel, die bei ihm auftraten und, wie
sie annahm, psychosomatischer Natur waren, helfen würde?
Der Sex mit Mario war vom ersten Begegnen an toll
gewesen. Und trotz, oder vor allem wegen der in einem Vierteljahrhundert
Gemeinsamkeit unweigerlich eintretenden Modifikationen war ihrer beider
Liebesleben bis zuletzt durchaus befriedigend gewesen.
Bis fast zuletzt. Da seit nunmehr acht, neun
Wochen sich die Fälle mehrten, in denen sie wach dalag und sich nach ihm
sehnte, während der tumbe Sack neben ihr leise vor sich hinsägte. Gut, er hatte
viel um die Ohren, doch diese Erkenntnis war in solchen Augenblicken nicht
wirklich tröstlich.
War es ihr dann einmal gelungen, sein Interesse
rechtzeitig auf sie und ihren Körper zu lenken, so hatte sie sich regelmäßig
allerhand einfallen lassen müssen, um seine funktionelle Schwäche zu überwinden
und das ›beste Stück‹, wie unsinnig dieser Begriff in dem Zusammenhang
eigentlich war, auch nur annähernd einsatzfähig zu machen. Sie hatte sich
bereits mehrmals vorgenommen, bei nächster Gelegenheit das Thema ›Medikamentös
unterstützte Standfestigkeit‹ ernsthaft anzusprechen.
Irgendwie kam sich Wilma bei diesen Gedanken
schlecht und vor allem schmutzig vor. So, als ob sie Verrat an ihrem
Lebenspartner betriebe. Das war Unsinn, schalt sie sich gleich darauf. Sie war
eine Frau Mitte 40 mit einem gesunden, ganz normalen Appetit auf Sex.
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