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Diaspora

Diaspora

Titel: Diaspora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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die letzte sichtbare Spur seines Universums in der Ferne verblaßte. Die Himmelskuppel über der Schwebenden Insel bot eine Art Blick durchs Schlüsselloch in die Makrosphäre. Nur zwei Sterne waren zu erkennen, und die Station, die sie neben der Singularität errichtet hatten, erschien knapp über dem westlichen Horizont als blinkender weißer Lichtpunkt, der rasch kleiner wurde. Die Singularität selbst war bei dieser Entfernung unsichtbar, nur das Leuchtfeuer der Station markierte ihre Position als Echo des regelmäßigen Photonenstroms, der davon ausging.
    Wenn das Team auf Swift jemals mit der Erzeugung dieser Photonen aufhörte, würde die Singularität völlig unsichtbar werden. Eine masselose Anomalie im Vakuum, so winzig wie ein subatomares Teilchen, die fast unmöglich aufzuspüren war. Doch wenn niemand mehr sendete, würde auch niemand mehr zuhören, so daß es keinen Sinn mehr hätte, das Vakuum nach dem heimatlichen Universum abzusuchen. In die Singularität geschossene Daten würden lediglich Neutronen auf Swift zerfallen lassen, ohne daß es jemand registrierte. Einige Leute hatten erwartet, daß die Singularität von Artefakten der Transformer umringt sein müßte, doch Orlando war nicht überrascht, daß sich diese Region als leer erwiesen hatte, da sie auch auf der anderen Seite der Verbindung auf keine Maschinen gestoßen waren.
    Das Leuchtfeuer schien mit unnatürlicher Geschwindigkeit zu verblassen, als würde sich die Polis mit rasender Beschleunigung fortbewegen. Auch das war nur eine Folge des Gesetzes der umgekehrten vierten Potenz: Was sich in alle Richtungen ausbreitete, verdünnte sich hier viel schneller. Orlando sah zu, wie die beruhigenden Lichtimpulse schließlich unsichtbar wurden, dann lachte er mühsam über sein angeborenes Gefühl der Verlassenheit. Schließlich konnte man überall stranden. Auf der Erde wäre er bei einer Gelegenheit beinahe an Unterkühlung gestorben, obwohl er weniger als zwanzig Kilometer von zu Hause entfernt gewesen war. Maßstäbe waren bedeutungslos. Entfernungen waren bedeutungslos. Sie würden entweder den Rückweg finden – oder nicht. Und in dieser Welt gab es nichts, das ihnen einen langsamen Tod bereiten konnte, der mit Dehydration und Unterkühlung vergleichbar war.
    Er sprach die Landschaft an. »Den Himmel drehen.« In einem bestimmten Moment konnte der normale Blick von der Insel – eine lediglich zweidimensionale Fläche – nur einen schmalen Ausschnitt des vierdimensionalen Himmels der Makrosphäre zeigen. Doch die Kuppel ließ sich über den Himmel bewegen, um ihn portionsweise abzutasten – wie ein Flachlandbewohner den gewöhnlichen Raum scannen konnte, indem er die Ebene seiner schlitzförmigen Perspektive rotieren ließ. Orlando beobachtete, wie die spärlichen Sterne auftauchten und verschwanden, viel weniger, als er von Atlanta aus bei Vollmond gesehen hätte. Andererseits war es bemerkenswert, daß er doch so viele erkennen konnte, da sie so weit verstreut standen und ihr Licht so stark verdünnt war.
    Ein heller rostroter Lichtpunkt erschien im Osten und verblaßte wieder, als er aus dem Blickfeld wanderte: Poincaré, der Stern, der der Singularität am nächsten war, ihr erstes Erkundungsziel. Es würde vierzig Megatau dauern, um Poincaré zu erreichen, doch niemand schien gewillt, sich für die Reise einfrieren zu lassen. Dazu gab es über zu vieles nachzudenken und zu vieles zu tun.
    Orlando machte sich bereit. »Jetzt zeigt mir U-Stern!« Sein Exo-Ich reagierte auf diesen Befehl und rotierte seine Augäpfel zu Hypersphären, rekonstruierte seine Netzhaut als vierdimensionale Anordnung, restrukturierte sein Sehzentrum und erweiterte sein Neuralmodell für die räumliche Wahrnehmung auf fünf Dimensionen. Als sich die Welt in seinem Kopf ausdehnte, wurde ihm schwindlig, und er geriet in Panik, so daß er aufschrie und die Augen schloß. Er hatte dasselbe schon einmal in sechzehn Dimensionen erlebt, als er den Orpheus-Kalmar betrachtet hatte, doch das war ein Spiel gewesen, eine interessante Neuigkeit, als würde man auf einem Kometen mitfliegen oder neben Blutzellen schwimmen, was den Adrenalinspiegel hochtrieb, aber keine weiteren Konsequenzen hatte. Die Makrosphäre dagegen war kein Spiel; sie war realer als die Schwebende Insel, realer als sein simulierter Körper und selbst realer als die Ruinen von Atlanta, die nun in einem fernen Punkt im Vakuum steckten. Es war der Raum, durch den sich die Polis bewegte, der Schauplatz,

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