Diaspora
Inoshiro.
»Wie bitte?« Orlando rieb sich die blutunterlaufenen Augen.
»Nach Konishi.« Yatima drehte sich entsetzt zu hie um. Hie hatte Inoshiro von der überlebenden Nanoware erzählt, aber nach den Reaktionen, die sie bisher ausgelöst hatten, grenzte ein solcher Vorschlag an Wahnsinn.
Inoshiro sprach unbeeindruckt weiter. »Ihr könnt euch all dies ersparen. Die Angst, die Unsicherheit. Was ist, wenn es zum Schlimmsten kommt und Liana immer noch krank ist? Was ist, wenn ihr nicht mehr zum Portal reisen könnt? Du bist es ihr schuldig, diese Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.«
Orlando blickte hie nicht an und antwortete auch nicht. Nach einer Weile bemerkte Yatima, daß ihm Tränen in den Bart liefen. Sie hoben sich kaum vom schweißfeuchten Gesicht ab. Er legte den Kopf in die Hände und sagte dann: »Wir kommen schon zurecht.«
Inoshiro stand auf. »Ich denke, du solltest Liana fragen.«
Orlando hob langsam den Kopf. Er wirkte eher erstaunt als wütend. »Sie schläft!«
»Meinst du nicht, diese Angelegenheit ist wichtig genug, um sie zu wecken? Meinst du, sie hätte kein Recht auf eine eigene Entscheidung?«
»Sie ist krank, und sie schläft, und ich werde sie nicht damit konfrontieren. Verstanden? Geht das in euren Schädel?« Orlando musterte Inoshiros Gesicht, und Inoshiro erwiderte völlig ruhig seinen Blick. Yatimas Verwirrung nahm zu; hie hatte sich seit dem Erwachen im Dschungel nicht so hilflos gefühlt.
»Und sie weiß noch nichts davon«, sagte Orlando. Seine Stimme veränderte sich merklich beim letzten Wort. Er ballte die Hände zu Fäusten und fügte wütend hinzu: »Was wollt ihr? Warum tut ihr das?«
Er starrte auf Inoshiros nichtssagendes graues Gesicht und lachte unvermittelt auf. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und lachte zornig, bis er sich mit dem Handrücken über die Augen wischte und versuchte, sich wieder zusammenzureißen. Inoshiro sagte nichts.
Orlando erhob sich vom Stuhl. »Also gut. Kommt mit. Wir werden Liana fragen. Sie soll sich selbst entscheiden.« Er stieg die ersten Stufen der Treppe hinauf. »Kommt ihr?«
Inoshiro folgte ihm. Yatima rührte sich nicht von der Stelle.
Hie konnte drei Stimmen identifizieren, aber keine Worte. Es gab kein Geschrei, aber mehrere Phasen längeren Schweigens. Nach fünfzehn Minuten kam Inoshiro die Treppe herab und ging bis zur Straße weiter, ohne anzuhalten.
Yatima wartete, bis Orlando zurückkam.
»Es tut mir leid«, sagte hie.
Orlando hob die Hände und ließ sie wieder fallen. Er sah gefaßter und resoluter als zuvor aus.
»Ich sollte gehen und nach Inoshiro suchen.«
»Ja.« Orlando trat plötzlich vor, worauf Yatima sich zurückzog, weil hie mit Gewalt rechnete. Wann hatte hie gelernt, so zu reagieren? Doch Orlando berührte lediglich heine Schulter und sagte: »Wünsch uns viel Glück.«
Yatima nickte und entfernte sich. »Das wünsche ich euch.«
Yatima fand Inoshiro am Rand der Stadt wieder. »Lauf langsamer!«
Inoshiro drehte sich zu hie um und ging unbeirrt weiter. »Wir haben getan, weswegen wir gekommen sind. Ich gehe nach Hause.«
Hie hätte von jedem beliebigen Ort nach Konishi zurückkehren können; es bestand kein Grund, zu diesem Zweck die Enklave zu verlassen. Yatima wünschte sich eine schnellere Vorwärtsbewegung heiner Perspektive, worauf das Interface den Körper auf eine andere Gangart umschaltete. Hie holte Inoshiro auf dem Weg zwischen den Feldern ein.
»Wovor hast du Angst? Daß wir hier stranden?« Wenn der Ausbruch die Erde erreichte, würde sich ein Teil der oberen Atmosphäre in Plasma verwandeln, so daß die Satellitenkommunikation eine Zeitlang gestört sein würde. »TERAGO wird uns frühzeitig warnen, um Snapshots zurückschicken zu können.« Und dann? Die weniger friedfertigen Mittler gingen vielleicht sogar so weit, die Botschafter zu töten, wenn es ernst wurde. Doch in diesem Fall konnten sie jederzeit ihre lokalen Persönlichkeiten löschen, bevor die Dinge zu unangenehm wurden.
Inoshiro runzelte die Stirn. »Ich habe keine Angst. Aber die Menschen haben unsere Warnung gehört. Wir haben mit jedem gesprochen, der uns zuhören konnte. Sich länger hier aufzuhalten wäre voyeuristisch.«
Yatima dachte ernsthaft über diesen Punkt nach.
»Das ist nicht wahr. Wir sind zu unbeholfen, um uns als Arbeiter nützlich machen zu können, aber nach dem Ausbruch wären wir die einzigen, denen die UV-Strahlung garantiert nichts anhaben kann. Gut, auch die anderen können sich
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