Diaspora
schützen. Nichts ist unmöglich für sie, wenn sie vorsichtig sind. Aber zwei Roboter, die sich im ungefilterten Sonnenlicht bewegen können, wären vielleicht trotzdem sehr nützlich.«
Inoshiro gab keine Antwort. Sanfte Schatten flogen über die Felder, geworfen von schwarzen Wolkenstreifen, die am Himmel vorbeizogen. Yatima blickte zur Stadt zurück, wo die Wolken sich zu Gebilden formierten, die an schwarze Fäuste erinnerten. Ein starker Regen konnte von Vorteil sein, um die Stadt abzukühlen, damit die Menschen in ihren Unterkünften blieben, um den ersten UV-Strahlen die Spitze zu nehmen. Solange die Sonne nicht so stark abgeschirmt wurde, daß die Menschen sorglos wurden.
»Ich dachte, Liana würde es verstehen.« Inoshiro lachte verbittert. »Vielleicht hat sie sogar verstanden.«
»Was soll sie verstanden haben?«
Inoshiro schüttelte den Kopf. Es war seltsam, hie wieder in diesem Roboterkörper zu sehen, der eher Yatimas mentalem Bild von hie entsprach als das Icon, das hie gegenwärtig in Konishi benutzte.
»Bleib hier und hilf ihnen, Inoshiro. Bitte. Du warst es, der sich an die Mittler erinnert hat. Du warst es, der mich so sehr beschämt hat, daß ich mitgekommen bin.«
Inoshiro warf hie einen Blick von der Seite zu. »Weißt du, warum ich dir die Introdus-Nanoware gegeben habe? Wir hätten es auch andersherum machen können, und du hättest dich um die Drohnen kümmern können.«
Yatima zuckte die Achseln. »Warum?«
»Weil ich sie inzwischen gänzlich aufgebraucht hätte. Ich hätte auf jeden Mittler geschossen, den ich erreicht hätte. Ich hätte sie einen nach dem anderen eingesammelt und fortgebracht, ob sie gewollt hätten oder nicht.«
Inoshiro ging auf dem geraden Feldweg weiter. Yatima blieb stehen und blickte hie eine Weile nach, bis hie sich wieder auf den Weg in die Stadt machte.
Yatima durchstreifte die Straßen und Parks von Atlanta und sprach jeden an, der nicht arbeitete und nicht zu feindselig wirkte. Auch ohne offizielle Dolmetscher konnte hie immer wieder mit kleinen Menschengruppen kommunizieren, wenn sich alle bemühten, die Lücken auszufüllen.
Aus einem unverständlichen »Was sind die Begrenzungen der Reinheit?« wurde ein
»Können wir dem Himmel noch Vertrauen schenken?« – wobei der Sprecher auf die Wolken blickte –, woraus ein
»Wenn es heute regnet, wird es uns verbrennen?« wurde.
»Nein. Die Säurewerte werden erst in Monaten steigen. Die Stickoxide brauchen einige Zeit, bis sie aus der Stratosphäre diffundiert sind.«
Die übersetzten Antworten klangen gelegentlich, als würden sie sich über ein Möbiusband bewegen und auf die andere Seite gelangen, doch Yatima klammerte sich an die Hoffnung, daß sich unterwegs nicht jeder Rest von Sinn verflüchtigte, daß aus einem ›oben‹ nicht ein ›unten‹ wurde.
Gegen Mittag wirkte die Stadt verlassen. Oder belagert, nachdem sich alle verschanzt hatten. Dann entdeckte hie einige Leute, die an einer Verbindung zwischen zwei Gebäuden arbeiteten, und selbst in der Hitze von vierzig Grad trugen sie langärmlige Kleidung, Handschuhe und Schweißmasken. Für Yatima war ihre Vorsicht Anlaß zur Hoffnung, obwohl hie die drückende, klaustrophobische Last ihrer Schutzausrüstung zu spüren glaubte. Die Mittler hatten zweifellos eine starke Akzeptanz für die Einschränkungen der Körperlichkeit entwickelt, doch es schien, als ob ein großer Teil der Freuden dieser Existenzform darin bestünde, bis an die Grenzen der Biologie zu gehen, und der Rest in einer Minimierung aller sonstigen Belastungen. Die verrücktesten Vertreter der masochistischen Statischen genossen möglicherweise sogar jedes Hindernis und jede Schwierigkeit, mit denen Lacerta sie heimsuchen konnte, um in poetischer Verklärung von ›der realen Welt des Schmerzes und der Ekstase‹ zu faseln, während sie von UV-Strahlung gegeißelt wurden, doch für die meisten Körperlichen würde es lediglich eine erhebliche Einschränkung der Freiheiten bedeuten, die die körperliche Existenz lebenswert machten.
In einem Park fand Yatima einen Sitz, der an Seilen aufgehängt war, und hie erinnerte sich, beobachtet zu haben, wie Menschen sich darauf setzten und vor und zurück schwangen. Das war vor einer Ewigkeit gewesen. Hie schaffte es, sich darauf zu setzen, ohne herunterzufallen, und sich mit der noch vorhandenen Hand an einem Seil festzuhalten, doch als hie das Interface anwies, die Pendelbewegung einzuleiten, geschah nichts. Die Software wußte
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