Diaspora
Tag.
Das hohe Alter von Lac G-1 hieß jedoch, daß die zwei Supernovae, aus denen die Neutronensterne hervorgegangen waren, aus einer Zeit vor der Entstehung des Sonnensystems stammten. Supernovae sandten Schockwellen durch benachbarte Wolken aus Gas und Staub und lösten damit die Bildung neuer Sterne aus. Daher war es nicht unvorstellbar, daß G-1a oder G-1b die Sonne geschaffen hatte und damit auch die Erde und die anderen Planeten. Yatima wünschte sich, hie hätte daran gedacht, als Inoshiro zu den Statischen gesprochen hatte. Eine Umbenennung der Neutronensterne in ›Brahma‹ und ›Shiva‹ hätte vielleicht genau die richtige mythische Resonanz erzeugt, um mythenverhafteten Starrsinn zu durchdringen. Diese leere Metapher hätte vielleicht einigen Menschen das Leben gerettet. Davon abgesehen war es gleichgültig, ob Lacerta als Lebensschöpfer nun heine zerstörerische Seite zeigte oder ob hie die zufälligen Kinder eines anderen Sternentodes mit Gammastrahlung überschüttete – die zugefügten Wunden würden genauso schmerzhaft und genauso sinnleer sein.
Das Signal von Bullialdus stieg weiter an, erreichte den Gipfel beim Zehntausendfachen des früheren Niveaus, um dann wieder abzustürzen. In der Orbital-Landschaft verzerrten sich die zwei Arme der einwärts gekrümmten Spirale zur vollkommenen radialen Anordnung, und die schmalen Kegel der Unschärfe, die entlang beider Äste ausstrahlten, schrumpften und verschmolzen zu einem einzigen durchscheinenden Tunnel. Jeder Neutronenstern war ein mikroskopisches Ziel für den anderen, so daß eine Abfolge von Beinahe-Zusammenstößen, die einen Aufschub von fünf oder zehn Minuten gewährte, nicht undenkbar war. Doch das Urteil lautete, daß jede seitwärtige Bewegung bis an die Grenzen der Meßbarkeit aufgehoben wurde. Die Neutronensterne würden im Zuge der ersten Annäherung verschmelzen.
In einundzwanzig Sekunden.
Yatima hörte ein bestürztes Jammern. Hie wandte den Blick von den Landschaften ab und ließ heine Roboteraugen über den Spielplatz wandern. Für einen Moment ging hie davon aus, daß das Kind von seinen Eltern avisgerissen und zurückgekehrt war, daß sich nun Suchgruppen unter den bedrohlichen Himmel wagen mußten. Doch die Stimme war gedämpft und fern, und niemand war in der Nähe zu sehen.
Zehn Sekunden.
Fünf.
Mögen alle Modelle sich irren! Möge ein Ereignishorizont den Ausbruch verschlucken! Mögen die Gleisner lügen, mögen sie die Daten gefälscht haben! Mögen die paranoiden Körperlichen recht behalten!
Ein Polarleuchten erfüllte den Himmel, ein strahlender, kunstvoll gewobener Vorhang aus rosa und blauen elektrischen Entladungen. Einen Moment lang glaubte Yatima, die Wolken hätten sich verflüchtigt, doch als sich heine Augen an die neuen Bedingungen angepaßt hatten, konnte hie erkennen, daß das Licht durch sie hindurchdrang. Die Wolken waren wie ein schwacher Schmutzfilm auf einer Fensterscheibe, während ätherische Muster in leuchtenden Weiß- und Grüntönen darunter tanzten – feine Ströme und Wirbel aus ionisiertem Gas, die den Milliarden Ampere elektrischer Ladungen folgten.
Der Himmel wurde dunkler und begann zu flackern, mit einer Frequenz von etwa einem Kilohertz. Yatima griff instinktiv auf die Polis-Bibliothek zu, doch die Verbindung war getrennt. Die ionisierte Stratosphäre unterband jeden Funkverkehr. Warum diese Oszillation? War das Schwarze Loch von einer Schale aus Neutronen umgeben, die wie eine Glocke schwang, während es ins Nichts verschwand und die letzten Gammastrahlen mit Dopplereffekt hin und her schob?
Das Flackern hielt an, viel zu lange, als daß der Ausbruch selbst die Ursache dafür sein konnte. Wenn nicht die Überreste von Lac G-1 vibrierten, was dann? Die Gammastrahlen hatten all ihre Energie weit über der Erdoberfläche abgegeben, als sie Stickstoff- und Sauerstoffmoleküle zu einem superheißen Plasma zerschossen, und die Elektronen und positiven Ionen dieses Plasmas mußten zuerst Milliarden von Terajoule loswerden, bevor sie sich wieder verbinden konnten. Der größte Teil dieser Energie würde chemische Veränderungen auslösen, und ein wenig davon gelangte zweifelsohne als Licht auf den Boden, doch starke Strömungen innerhalb des Plasmas mußten Radiowellen von niedriger Frequenz erzeugen, die zwischen der Erde und der nun ionisierten Stratosphäre dribbelten. Das war die Ursache des Flackerns. Yatima erinnerte sich an die C-Z-Analyse, nach der diese Wellen unter bestimmten
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