Dichterliebe: Roman (German Edition)
Sind Sie der Dorftrottel?«
» Er ist überfordert«, spricht Irene mild.
» Was heißt überfordert? Typisch männliche Feigheit, entschuldigt, Jungs! Während ich im Krankenhaus lag, sind mehrere Brustkrebsfrauen von ihren Männern verlassen worden. Einer ließ die unversorgten Kinder im Stich. Die siebenjährige Tochter rief weinend im Krankenhaus an: Mammi, der Pappi ist weg! Und die schwerkranke Frau begann herumzutelefonieren nach jemandem, der sich um die Kinder kümmert, und litt noch, daß sie ihn verloren hatte! Ich sagte zu ihr: Kein Verständnis! Rauch den Typen in der Pfeife! Quetsch ihn aus! Bluten soll er!«
*
Ich habe mich mit einer halben Flasche Wodka in den Schlaf geschossen, komme im Dunklen zu mir, beschämt, Schläfen wie Gummi, Pochen im Hirn. Die roten Ziffern der Uhr zucken vor meinen Augen.
Es muß tiefe Nacht sein, doch immer noch ist es heiß, trotz der aufgerissenen Fenster. Jahrhundertsommer, sagt jemand. Wo bleibt die frische Seeluft? Draußen sitzen welche. Ich hatte das Geplapper in meine Träume eingebaut. Ich schleppe mich ins Bad und dusche lauwarm. Dann geht es besser. Hinaus. Auf der Terrasse die erweiterte Runde, Bild und Schrift, mit Kerzen und Wein.
Performance-Gideon ist da, Video-Bernd, Ekel-Robert, Irene mit ihrem Engel, Riesen-Natascha. Sidonie und Leopold fehlen. » Sind die abgereist?« frage ich verwirrt.
» Leopold hatte einen Einfall«, summt Irene, » den prüfen sie gerade am Klavier.«
Man schiebt mir ein Glas Rotwein zu.
Diesmal reden sie über Geld. Wessis reden dauernd über Geld.
» Ich bereue nichts«, sagt Irenes Engel, der in einem Souterrain mit Nachtspeicherofen lebt. » Nur mein Vater bereut’s.«
Die herrliche Natascha hat von ultramodernen Farbkopierern gehört, die Banknoten unerkennbar fälschen.
Robert: » Ach nein, die haben längst Erkennungsprogramme. Wenn die nen Geldschein auf der Glasplatte sehen, kommt ne Schrift: Mit mir nicht! «
» Ach, schade«, sage ich.
Natascha: » Vielleicht gibt es schon Anti-Erkennungs-Programme?«
Dora: » Im Osten.«
Robert: » Genau. Den Henry, mit seinem Untergrundcharme, schicken wir in die Szene. Der kann sich da auf Sächsisch rantuscheln.«
Gideon, unruhig: » Wer als Künstler mit fünfzig seine Schäflein nicht im Trockenen hat, ist arm dran. Die Kontakte, die man in Jahren aufgebaut hat, schwinden durch Tod Rente Abberufung; nur die wenigen oben im Licht können sich halten.«
Auch der flotte Gideon sitzt im Schatten, begreife ich. Dort, wo ich herkomme, war ich im Licht, aber Schäflein hatte ich nie, nicht mal nasse. Bin ich besser dran als Gabriels Anna, die neben ihrer trockenen Schafherde versinkt?
Alles lacht, ich habe verpaßt, worüber. Sie fühlen sich wohl. Bernd sagt genießerisch, es sei hier wie damals in seiner Studenten- WG . Robert nennt es Kinderferienlager. Ich bin kein Kind. Nur, wo soll ich hin?
Im Traum suchte ich mit jemandem – einer Frau – den Direktor eines großen Gebäudes. Welchen Direktor – Gabriel? Und was für ein Gebäude? Ein Hafengebäude vielleicht, Möwen schrien, jemand fragte: Wo bleibt die frische Seeluft? Schließlich standen wir in einem großen Zimmer, und zwar beim Sex, aber eine Katze krallte sich in meinen rechten Knöchel, ich wagte den Fuß nicht wegzuziehen aus Angst vor noch stärkerem Schmerz. Etwas später, ich stand immer noch im Zimmer auf einem Bein mit der Katze am Fuß, schaute Sidonie herein. Ich fragte gequält: » Ist das vielleicht deine Katze?« Sie antwortete: » Nein, so kleine Katzen habe ich nicht.« Im Türrahmen erschien ein Tiger und strich ihr um die Beine.
*
Dora, die sich auch einen Monat nach der letzten Chemo noch schlapp fühlt, soll eine Kur antreten, in St. Peter Ording. Zum ersten Mal höre ich ihre Stimme flattern. Deshalb werde ich dem Vorsatz untreu, sie zu meiden. Vor dem Haus diesmal nur eine kleine Runde mit Leopold, Sidonie und ausnahmsweise Irene. Obwohl es dunkel ist, haben sie den großen beigen Sonnenschirm aufgespannt. Die Linde über ihnen wirft ihre Samen ab, winzige Paukenschlegel, ich bilde mir ein, sie leise pochen zu hören.
Sidonie und Irene stellen mitfühlende Fragen. Was passiert bei einer Kur?
» Anwendungen!« erklärt Dora matt. Massagen Bäder Packungen, langweilig, ein dichtes Regime. Und alles ohne Rücksicht auf die Gezeiten! Sie mußte den Ärzten erst klarmachen, daß der Rhythmus der Nordsee die therapeutischen Maßnahmen bestimmen müsse. Das Schauspiel von Ebbe und
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