Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
Vom Netzwerk:
denkmalschützerisch frei, mächtig, rissig, dunkel. Es gibt eine moderne Küche mit einer halogenbeleuchteten Theke, die übrige Einrichtung hat Anna beigesteuert. Mit bebender Stimme weist Gabriel auf das Geniale dieser Antik-Modern-Kombination hin und stellt einzelne Stücke vor: den Kabinettschrank aus Nußbaum und die Amsterdamer Uhr aus dem 18. Jahrhundert. Den Empirespiegel. Die Konsole, Louis Philippe, 1860/70. Den Jugendstil-Teppich. An den Wänden hängt moderne Kunstgrafik. Der Kontrast zur verlotterten Junggesellenbude von damals könnte größer nicht sein.
    » Anna«, erklärt Gabriel feierlich, » hat einen neuen Menschen aus mir gemacht.«
    Er holt seinen edelsten Grappa aus einem beleuchteten Barschrank und gießt ein. » Auf Anna!«
    Noch einen.
    Zwischen den nächsten Runden erzählt er die Geschichte der einzelnen Bilder.
    Grappa Nummer sechs.
    » Ich habe getan, was ich konnte«, sagt er gepreßt. » Als es losging mit den Hirnmetastasen, dachte ich, ich könne sie hier pflegen. Ich habe sie die Treppe runter- und raufgetragen. Dann war sie halbseitig gelähmt und konnte sich nicht mehr selbst waschen, sie sackte auf der Bettkante zusammen wie Pudding.«
    Grappa Nummer acht. Die Minute der Wahrheit.
    » Ich wünschte, sie würde gehen!« keucht Gabriel. » Sie bekommt kein Essen mehr, nur Wasser und Schmerzmittel, man läßt sie sozusagen verhungern. Aber sie ist unglaublich – zäh. Nur noch Haut und Knochen … Hände wie Vogelkrallen … aber sie geht nicht. Sie meint, sie müsse sich Sorgen machen – um mich!«
    » Was sagen die Ärzte?«
    Noch ein Grappa.
    » Die Ärzte sagen, von ihrem Gehirn funktionieren noch fünfundzwanzig Prozent, und es werden täglich weniger … auch ihre Seele … instabil. Gestern nacht ließ sie mich anrufen – sie selbst kann nicht mehr wählen und kaum sprechen. Sie fürchte sich, ließ sie mir sagen, ich möge kommen. Ich kam. Es ist eine Stunde Fahrt. Als ich eintraf, war sie bereits weggetreten. Ich habe ihre Hand gehalten, später im Gästestuhl geschlafen – miserabel. Am Morgen sollte sie mich als erstes sehen. Aber sie wachte auf und begann zu schimpfen: Ich würde sie nerven, wann haute ich endlich ab …«
    Er schluchzt.
    » Ich konnte nichts machen. Ich fuhr heim. Du weißt, eine Stunde Fahrt. Hier auf dem Anrufbeantworter war eine Nachricht der Krankenschwester: Anna habe mich sprechen wollen, sie sei gemein zu mir gewesen, es tue ihr leid; sie habe geweint. Ich rief sofort an, um sie zu trösten. Und da, tatsächlich, konnte sie ein paar Worte hauchen. Ich soll alle Möbel in den Keller räumen, wegen der Luftangriffe.«
    Luftangriffe? Ich bestaune die Metapher. Mein Gott, was für eine Quälerei. Mit einem Viertel Gehirn kann sie noch leiden, fürchten, beleidigen, bereuen und weinen.
    *
    Kaminzimmer. Dora zum ersten Mal mützenlos, mit ganz kurzem weichem Haar, erzählt, daß sie nach ihrer Brustkrebs- OP mit dem Chefarzt ein Gespräch über Schnittformen geführt habe wie unter Künstlern. Das Geschwür war rund gewesen. Aus dem Bauch hatte der Arzt ein ellipsenförmiges Stück Gewebe entnommen, um es in das Loch einzusetzen.
    Warum ellipsenförmig?
    Das eben sei das Thema gewesen. Er hatte Zeichnungen gemacht, auch hierin ein Künstler, sich dann aber bei einer OP -Naht um drei Millimeter vertan. Er habe das zugegeben, sagt Dora stolz.
    Ich stehe auf. Ich muß das nicht wissen. » Hey, du Rausgeher! Du bist doch befreundet mit Gabriel!« ruft sie. » Da kannst du nicht so zimperlich sein!«
    » Ging es um Gabriel?« frage ich.
    » Es geht um alle, die auf der Liste stehen.«
    » Alle stehen auf der Liste«, wirft etwas altklug Sidonie ein. Keiner beachtet sie.
    » Es geht um Anna«, sagt Dora. » Sie steht oben auf der Liste. Ich komme danach. Deswegen weiß ich ein bißchen Bescheid.«
    Dora also versorgt uns mit harten Fakten: Wenn das Gehirn befallen sei, gehe es schnell. Da sei Gabriel in der Pflicht. Und ich solle ihn gefälligst mahnen.
    » Du überschätzt mich.«
    » Gabriel muß sie nach Hause holen!«
    » Das geht nicht«, sagt Bernd mitfühlend. » Er hat es ja versucht … Er liebt sie … Es schmerzt ihn …«
    » Sentimentalität! Er verzichtet auf nichts. Vor einem Jahr war ich schon mal hier, eine Freundin besuchen. In der Kneipe trafen wir Gabriel, der nicht wissen konnte, wer ich war. Er streifte an mir vorbei und sagte: Entschuldigen Sie, Gnädigste, daß ich Sie angebumst habe, aber ich tue es gerne! Ich fragte zurück:

Weitere Kostenlose Bücher