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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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schmeichelhaft nach der jeweiligen Mode, können wir unsere Existenz auf sie gründen. Der Haken: Wir müssen selbst daran glauben. Und wer das tut, ist verrückt. In der Jugend treibt uns natürliche Kraft; kluge Bewegung verlängert den Schwung in die guten Jahre. Auch ich hatte im Wahn meine beste Zeit. Ich habe meine Frauen ausgesogen und meine Kinder verlassen, und alle bewunderten mich trotzdem, weil meine Vision auch ihnen Wichtigkeit verlieh. Dann kam mir die Überzeugung abhanden; mein Glutkern, wie ein Kritiker es einmal nannte, erkaltete und floß aus mir hinaus, als kalte Säure, wie meine Bewunderer, als Sirup, wie meine Feinde sagen. Zurück blieb die Hülle, ein häßliches, peinliches Relikt.
    Einst stürmten wir bergauf , jetzt trotten wir bergab, dichtete Robert Burns. Läßt sich daraus gar nichts machen? Beim Bergabgehen hat man den weiteren Blick, würde Jakob sagen. Man kämpft nicht mehr um Atem und Höhe. Man kann den Reiz der umliegenden Hügel genießen, während man sich dem Nebel nähert im Tal. Man sieht die Gesichter derer, die entgegenkommen: ihre frohe Erwartung. Ihre Besessenheit.
    Robert zum Beispiel. Ich muß ihn endlich lesen, um ihn verachten zu können. Er hat mir ein Buch und ein Manuskript geliehen. Der Moment ist günstig: Ein milder, nicht heißer Nachmittag, ich sitze allein vor dem Schafstall auf meiner Terrasse unter der Linde, bewacht von Dohlen, weitläufig umrahmt vom Haupthaus, dem Wäldchen, dem Parkplatz, der brüchigen Ziegelmauer, wie in einem weiten, sonnengetränkten Terrarium. An diesem milden Nachmittag zwischen Lichtflecken und grünem Schatten läßt sich’s ertragen, doch nur als das, was es ist: das Gehäuse eines Nachmittags. Die Wände des Terrariums sind durchsichtig, doch physisch durchdringen wir sie nie. Literatur ist scheinbar ein Fenster in alle Zeit, lesend phantasieren wir uns durch die Epochen und fühlen uns in unserem lichten kleinen Würfel als Zentrum der Welt. Aber wie kurz nur und wie beschränkt, wie lächerlich kurz.
    Roberts Buch heißt: Vermessungsversuch zu Zeiten der Pest und ist ein historischer Roman, zwei Jahre vor der Wende erschienen. Akkurat, oberschlau, konturenarm – ein richtiges Intellektuellenprodukt, dazu DDR -typisch um Ausdruck zwischen den Zeilen bemüht. Robert spielt mit Wahrheiten, die er nicht aussprechen darf, deutet an, reizt, ironisiert, muß dieselben Brechungen bei den Lesern voraussetzen, weil er ein anderes Publikum nicht hat, was die Sache hoffnungslos selbstreferentiell macht. Er hat künstlerisches Temperament, deswegen legt er all seine Geschicklichkeit in diese Balanceübungen, schlägt Funken aus dem Grau, zieht aus der Erbärmlichkeit Genuß, zelebriert seine ohnmächtige Überlegenheit zu Füßen der übermächtigen Idiotie. Welche Vergeudung. Diese Literatur war bereits verstümmelt, bevor sie zur Welt kam. Und der Mann wird nie mehr anders schreiben können, schon aus Stolz nicht. Er ist das Opfer seines Anstandes geworden.
    Ich will das nicht lesen. Einen Blick noch werfe ich auf ein Manuskript, das er letztes Jahr geschrieben hat. Diesem Text fehlt die kleinteilige Finesse des alten, er ist sogar vergleichsweise anarchisch. Geblieben aber ist die Attitüde des Indirekten. Vor der Wende ist der Autor implodiert, nach der Wende explodiert. Vorher knebelte, nachher vergaß man ihn. Er macht seine Witze, die keiner hören will, arbeitet virtuos mit Assoziationen, Andeutungen, forcierter Ironie, schlägt Funken aus dem Grau, zelebriert seine ohnmächtige Überlegenheit zu Füßen der übermächtigen Idiotie und so weiter, wie gehabt.
    Doch Moment: Jetzt gibt es eine Überraschung. Der Nachwendeheld ist kein historischer, sondern ein aktueller, und ihn hat die Frau verlassen. Vitales Problem! Während er mit der Narrenkappe durchs Land zieht und sich von seinen eigenen Witzen ernährt, scheitert er auch in dieser Hinsicht. Er besucht seine früheren Flammen, die keine Zeit für ihn haben, weil sie mit Versicherungsanträgen beschäftigt sind und die alten Eltern im Heim besuchen müssen. Einmal hilft ihm aus Sympathie seine Lektorin – mit der Hand, weil sie dem Gatten nicht untreu werden will; für den Autor Anlaß zu ein paar überdrehten Treuereflexionen. Idiot. Soll er sich doch freuen. Wie froh wäre ich, Wenn Mir Jetzt. Er indessen hirscht weiter, schon ziemlich außer sich – Achtung, Kalauer –, bis sich im Augenblick höchster Not eine Kellnerin seiner erbarmt. Er ist dermaßen dankbar,

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