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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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ja!« ruft Sidonie. » Wir dachten, du seist ausgeflogen, weil kein Licht brannte.«
    Ist das nicht Heuchelei? Vorn auf dem Parkplatz steht der Porsche. Oder dachte sie, ich bin in der Kneipe? Was wäre besser? Anders gefragt: Was wär mir lieber? Daß Sidonie heuchelt, oder daß sie mich in der Kneipe wähnt? Freut sie sich, daß ich nicht in der Kneipe war? Sollte sie sich nicht Sorgen machen, daß ich tagsüber schlafe? Ich hole aus dem Kaminzimmer einen Stuhl und will ihn neben sie schieben. Aber da ist ein Fremder … natürlich, Leopold. Er steht sogar auf und begrüßt mich höflich per Handschlag. Er sagt, mit dem » r« rollend: » Freut mich sehr … Sidonie hat von Ihnen geschwärmt!« Hat sie das wirklich getan? Und es macht ihm nichts aus? Nun, warum sollte es? Ein graziler junger Mann mit feingeschnittenem Gesicht und prominenter Nase; größer als ich, schöner, jünger … Ich kann ihm kaum in die Augen sehen. Ich ziehe mit meinem Stuhl um den Tisch herum und quetsche mich zwischen Irene und Performance-Gideon. Auch dort sitzt eine unbekannte Person … eine Frau. Immerhin. Sie stellt sich als Alice, Freundin von Irene, vor. Eine junge Schweizerin, die nach Parfüm duftet, eine echte Schönheit mit akkuraten Renaissancezügen und einer Bauhausfrisur, links kurz, rechts lang. Ja, zu Besuch. » Leider nur zwei Tage.«
    » Leider?« Alle interessieren sich für Alice, weil sie so schön ist.
    Ach, bekennt sie, sie wäre lieber Künstlerin, arbeite aber, da die Kunst ihre Frau nicht ernährt, in der Werbebranche – das sei gefährlich …
    » Was verdienst du?« fragt Gideon.
    » Tausend Franken am Tag.«
    Alle schreien vor Entzücken.
    » Warum gefährlich?« fragt Robert.
    » Du kannst das nur machen, wenn du dich identifizierst. Zuletzt habe ich mich mit einer Dose Tomaten identifiziert.«
    Die Dichter rätseln darüber, wie man sich mit einer Dose Tomaten identifiziert. Was kann eine Tomatendose sagen, um gekauft zu werden?
    » Öffne mich!«
    » Sei mein Basilikum!«
    Und alle raten der schönen Alice, von der Kunst die Finger zu lassen.
    Ich halte das für Angeberei. Sie erzählen von Gefahren, Natascha lebt von neunhundert Mark im Monat, bei Bernd war der Gerichtsvollzieher und so weiter, aber sie fühlen sich auserwählt, mir machen die nichts vor. Auf einmal merke ich, wie jung sie sind.
    *
    Schlecht geschlafen. Während ich Frühstückskaffee koche, höre ich draußen Stimmen, Sidonies farbigen Mezzo, Leopolds schlanken Baß. Durchs Fenster sehe ich die beiden über Papiere gebeugt, sie kritzeln Worte und Noten, lesen einander vor, lachen über Einfälle. Offenbar sind sie mit irgendeiner Lösung sehr zufrieden, sie lehnen sich zurück und strahlen einander an. Leopold breitet die Arme aus: » Mei, habt ihr’s gut! So wie ihr arbeitet, möcht ich gern Urlaub machen!« Er wendet sein schönes Gesicht dem Himmel zu und zeigt lachend ein makelloses Gebiß. Von Sidonie sehe ich nur den Hinterkopf, doch ihre Miene spiegelt sich in seiner. Was für ein Idyll. Das müssen die mir wirklich nicht vorführen vor meinem eigenen Haus. Ich reiße die Tür auf.
    » Guten Morgen!« Sie wenden sich mir zu. Zwei glatte junge Gesichter, voller Unschuld und Anmaßung.
    » Guten Morgen.« Meine Stimme rauh.
    » Wenn du hier arbeiten willst, räumen wir den Platz!« ruft Sidonie bereitwillig. » Wir haben nur die Zeit genutzt, solange du schliefst!«
    Solange ich schlief.
    *
    So verlaufe ich meine Tage zwischen Dorf und Haus. Kleine Wege. Ich laufe in einer Art Betäubung als kybernetische Schildkröte von der Wohnung zum Edeka, wo ich Rotwein Brot Beutelsuppe kaufe, und zurück vom Edeka zum Schafstall. Ich laufe vom Schreibtisch drinnen zum Plastetisch draußen, je nach Wetter, mache Notizen zu den Metamorphosen, erarbeite Strophe um Strophe Karatschinzew. Mehrmals täglich laufe ich außerdem vom Schafstall ins Haus zur Faxbox. Ich habe Aussicht auf vier Lesungen in Sachsen und Brandenburg, mein Feind Krzykowski hat mir die beschafft: Henry, da ist noch ein Zuschuß übrig, den wir ausgeben müssen, die neue Kameralistik, hehehe (sächsische Meckerlache) – also das wäre Erkner, und in Frankfur t /Oder beim Lyrikfest hat einer abgesagt, da ist ein Platz frei geworden … Unverschämt natürlich, aber fünfhundert Mark pro Auftritt, da bleibe ich höflich. Plötzlich meldet sich sogar Aue, irgendwer dort hat mich nicht vergessen … Alles muß schnell gehen, das Ganze steigt Ende nächster Woche. Ich verhandle

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