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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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Flut sei schließlich das Heilsamste: die See, die gurgelnd durch die Priele schieße und schäumend meterhoch steige. Ihr saugendes Verschwinden. Unversehens hat Dora sich in Rage geredet.
    Über die Ärzte: » Na ja, Mittelmaß. Wer wird schon Kurarzt?«
    Über die Mitpatienten: » Langweiliger geht’s nicht. Man denkt, nur die dööfsten Leute kriegen Krebs!«
    Von Krankheit zu Künstlerthemen ist es nur ein kurzer Schritt, zu groß die Schnittmenge: Krise, Panik, Risiko, Armut, Ungerechtigkeit, ich höre nicht mehr hin. Ich schaue Sidonie an, manchmal erwidert sie meinen Blick und lächelt – das belebt mich, ja, und weckt das Bedürfnis, die entscheidenden Maßnahmen einzuleiten. Leopold reist morgen ab. Und wenn ich von meiner Osttournee zurückkehre, wird auch Dora weg sein. Gottseidank. Denn die agitiert fast ununterbrochen gegen die bösen Männer.
    » Die erotische Durchschnittskarriere des Bildenden Künstlers … wollt ihr’s wissen?«
    Alle wollen es wissen bis auf den schönen Leopold, der aufsteht und sich anmutig verneigt: Er gehe lieber Klavier spielen, es werde ihm hier zu gefährlich.
    » Da gibt’s die erste Frau oder Freundin für die schweren Anfangsjahre«, spricht Dora schneidend, » gern Köchin, Sekretärin oder Arzthelferin. Die unterstützen, betreuen, bekochen und bewaschen den unsicheren Neuling, bis erste Erfolge eintreten. Es folgt die jüngere bürgerliche Frau, die das aufstrebende Genie bewundert und ihm Kinder schenkt. Zuletzt noch mal ganz was Junges, gern Studentin. Gern aus dem Fach, damit’s interessanter ist. Der Altersunterschied hebt Konkurrenzreflexe auf.«
    Der Altersunterschied hebt Konkurrenzreflexe auf. Stimmt.
    » Zu solchen Arrangements gehören immer zwei«, bemerkt Irene.
    » Ja, aber einer mit einem viel längeren Hebel, nicht wahr.«
    Anzügliches Gelächter. Die Frauen, sieh an.
    Ich schaffe es nicht, wegzugehen. Ich rauche. Ich kriege Wein. Dora schüttelt den Kopf über die dummen Frauen, die für die Männer Haushalt Buchhaltung Korrespondenz erledigen, ihre Termine verwalten, ihre Fahrkarten buchen, ihnen die Pillen zwischen die Lippen schieben, ihre Launen ertragen, sie letztlich auch noch drauflassen und als Samenbank dienen …
    Nun, sie haben ja auch was davon, denke ich. Aber sage es nicht. Wundere mich, wie unbefangen Sidonie sich amüsiert. Hätte sie für feinfühliger gehalten.
    *
    Traum: Durch ein unendlich breites Flußbett schieben sich Eisschollen. Ich habe mich auf die Böschung gerettet, konnte sogar an einem Tau ein Schiff herausziehen. Das Schiff ist ein Dreimaster mit gerefften Segeln, bauchig, von der Größe vielleicht eines Wohnwagens, aus frisch lackiertem, goldbraun schimmerndem Holz. Es ist hübsch. Ich bin stolz, daß ich es gerettet habe. Ich genieße den Blick: die Weite, das mächtige Schauspiel der stoßenden, sich bäumenden und aufeinanderstürzenden blauen und weißen Blöcke, eine riesige treibende Landschaft im hellgelben Licht. Plötzlich merke ich, dass der nasse Schnee unter mir schmilzt, das Schiff beginnt zu rutschen und zieht mich mit. Schon ist der Rand der Böschung meterweit entfernt, über mir Rufe: » Achtung, das Schiff!« Keine Chance, ich lasse es los, es saust hinab und wird von den Schollen zermalmt. Auch ich sinke, im sulzigen Schnee kein Halt, ich rufe um Hilfe, hat niemand ein Seil?
    *
    Auf dem Rückweg vom Edeka sehe ich Dora, die ihren Rollkoffer zur Bushaltestelle zieht. Von mir aus braucht sie nicht wiederzukommen, die Megäre. Trotzdem später schlechtes Gewissen, daß ich nicht behilflich war, denn sie wirkte geschlagen: schleppender Gang, violette Augenringe im hellgrauen Gesicht. In dem Moment fürchtete ich ihre Wehrhaftigkeit weniger als den Tod, von dem sie gezeichnet schien.
    Haltloser Tag.
    Am späten Abend die Runde vor meinem Haus.
    » Wer? Übergriffig?« Gabriel aus dem Dunkel, erregt, mit raschem Schritt. » Ihr Lieben, darf ich mich zu euch setzen?«
    Wir heißen ihn willkommen. Er zieht aus der Safarijacke eine blanke Flasche und freut sich, daß es uns gibt.
    » Hast du Sidonie gesehen?« frage ich.
    » Sie bringt den Musiker zum Zug. Tja, am Nachmittag waren sie noch zugange.«
    » Was heißt das?« Alarmiert, hoffentlich merkt man’s nicht.
    » Sie las ihm Verse vor. Das Schicksal aller Begatter: Man muß immer erst zuhören, bevor man drüberdarf.«
    Seine Zunge ist leicht, doch sein Auge trüb. Er schenkt jedem Mann einen Klaren ein, die Frauen lehnen ab. Dem Klaren läßt er

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