Dichterliebe: Roman (German Edition)
Rumänien sah aus wie im Krieg. Schwerbewaffnetes Militär am Flughafen, endlose Kontrollen, alle blickten sich beim Reden um. Ich erinnere verlassene Häuser, gigantische leere Paläste. Ceau Ş escu hatte interessanterweise eine Schwäche für Gott. Er ließ ganze Kirchen absägen und fünfhundert Meter weiter aufstellen, aber dann fehlten Zeit und Nägel, sie am neuen Ort zu verankern, und keiner wagte sich mehr in ihre Nähe. Kräne verrosteten und fielen auf die Baustellen. Der Dichter Florescu lud mich zu sich nach Hause ein. Er hatte in der Umbruchszeit ein verlassenes Generalshaus bezogen, eine monströse Operettenvilla, und Florescus Großmutter aus dem Dorf stand schwarzgekleidet mit Kopftuch im Garten und briet überm Feuer Paprikaschoten. Bukarest lag im Dunkeln, weil der Strom ausgefallen war. Abenteuerlich wurde die Rückfahrt, denn Florescus Lada hatte nur noch einen Scheinwerfer, und wir fanden die Ausfahrt im Kreisverkehr nicht. Wir fuhren im Kreis, schließlich hielten wir an und tappten im Dunkeln nach dem Bordstein.
Angeblich sehnten sich alle nach Ceau Ş escu. Ich erinnere mich an ein idiotisches Revolutionsvideo, hysterische Transparente, eine Opernsängerin, die Aida schmetterte – absurder Revolutionsbluff. Ein Taxifahrer, der mich zu Ceau Ş escus Grab fuhr, sagte, er sei eigentlich Securitate -Mann und nur zufällig vorübergehend außer Dienst, wir würden ja sehen.
Litauen besuchte ich, nachdem es gerade selbständig geworden war. Im Flughafen mußte man sich Visa geben lassen, aber dort war nichts vorbereitet, an einer Reihe simpler Holztische saßen konfuse, aber stolze Litauer. Die Prozedur dauerte vier Stunden. Blasierte, feingekleidete Westeuropäer brachen in der Schlange zusammen. Schon bei der Ausreise war es besser organisiert. Die Grenzbeamten trugen inzwischen amerikanische Uniformen.
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Auf Zwischenstop in Fulda überrascht mich Regen. Fulda kannte ich bisher nicht, es ist eine wohlhabende Residenzstadt mit mächtigen Barockkirchen, westgemäß proper und aufgeräumt. Ich ärgere mich über die hohen Parkgebühren, freue mich, durch die Perfektion provoziert, an einem überquellenden Müllkorb, erschrecke über den Eintrittspreis des Fasanerieschlosses, erschauere im Wind und bemerke erst jetzt die dunklen Wolken. Alles ist erfüllt von leichtem Regen, eine Pause in diesem aufdringlichen Sommer ausgerechnet jetzt, da ich die Deckung des Künstlerhauses verlassen habe. Ich finde Schutz in einem Kunstpostkartenladen. Ein schicker Laden, betreut von einer gepflegten Dame.
Ich werde eine Postkarte an Sidonie schreiben! Die Idee erwärmt mich. Ich nehme mir Zeit. Eine Postkarte an Sidonie will ja sorgfältig gewählt sein: ästhetisch belangvoll, dabei nicht hochgestochen, beziehungsreich, doch nicht anzüglich. Ich bin der einzige Kunde und störe niemanden. Die Verkäuferin fragt wohlwollend, ob ich was Bestimmtes suche. Nun, das kann ich ihr nicht erklären, doch rührt mich die Zuwendung dieser eleganten Dame, und gerührt also wende ich mich ihr zu. Sie mag in meinem Alter sein, blondgefärbt, sorgfältig geschminkt, mit hellbraunen Rehaugen. Sie trägt eine Jacke aus champagnerfarben schimmerndem Stoff mit breitem Revers ohne Knöpfe; unter den fließenden Schößen sehe ich ein fein gewebtes Hemd im selben glänzenden Ton, alles sehr edel, bis auf die fleckige, lockere Haut. Ein erregendes Parfüm. Wie schön – Kultur, Geschmack. Sicher hat sie Antiquitäten zu Hause, Parkett, vielleicht Silberbesteck. Sie zieht mich in ein persönliches Gespräch, angeblich hat sie gleich gesehen, daß ich Künstler bin. Sie hebt die Hände, ich sehe zwei aneinandergelötete Ringe – Ring der Witwe glaube ich zu erinnern, den kannte ich bisher nur aus der Literatur. Eine wohlhabende alleinstehende, kontaktfreudige Dame – vielleicht ist hier meine Zuflucht? Es bedeutet natürlich, daß ich Sidonie in gewisser Hinsicht untreu würde, andererseits weiß ich ja nicht, ob die mich überhaupt will, und in dieser ungewissen Hinsicht bleibe ich treu. Nur mit der Postkartenwahl gerate ich durcheinander und muß fast froh sein, daß jetzt ein anderer Kunde das Geschäft – im Westen sagen wir Shop – betritt.
Der andere Kunde riecht streng und hat Tränensäcke wie glühende Ballons unter den Augen. Mit zerstörter Stimme redet er von einer Verabredung mit dem Chef, fragt, wann der wiederkomme, will ebenfalls wiederkommen, geht aber nicht, sondern wedelt mit einem zerschlissenen
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