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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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die alte Lutherkirche und fluchte. Elsa saß feixend neben mir und schien die Irrfahrt zu genießen.
    Endlich schloß ich vor dem braunen Häuschen jener Schreckensnächte meine kleine Großmutter in die Arme. Mein Erscheinen belebte ihre Erinnerung, und sofort flossen Tränen, nicht über meinen Erfolg, sondern über Großvaters langes, gräßliches Sterben. Ich hatte aus Korea ein Rollbild mitgebracht, das eine dekorative Flußlandschaft zeigte, und aus dem Berliner Intershop zwei Packungen Jacobs Krönung, eine Sarottischokolade, eine Stange Camel und ein bernsteingelbes Parfüm in einer Flasche, die wie eine Handgranate aussah. Wir tranken Kaffee und aßen Eierschecke, Elsa erzählte von ihrer Misere, und Großmutter vergoß Tränen über Onkel Bernhard, der letzte Woche ebenfalls an der Schneeberger Krankheit gestorben war. Ich blickte verstohlen in einen kleinen quadratischen Spiegel und sah einen kräftigen Mann mit straffen Wangen und selbstbewußten Zügen, der fehl am Platz war.
    » Was haltet ihr von einer Spritztour?« fragte ich.
    Großmutter stimmte unerwartet froh zu: Sie wollte der Witwe von Onkel Bernhard Ostereier vorbeibringen, die sie selbst bemalt und umhäkelt hatte. Wir fuhren also im Lada nach Schneeberg hinauf zu Onkel Bernhards Häuschen. Tante Frieda, mit einem schweren Kropf, der ihr über den Kragen quoll, begann sogleich mit stummer Hingabe die kahlen Sträucher in ihrem Gärtchen zu schmücken. Sie bat uns nicht herein, und wir froren im über den Bergrücken strömenden Wind. Ich erinnerte mich, daß Tante Frieda mich schon früher einmal nicht hereingebeten hatte. Damals hatte ich sie, als Kind, noch mit Vater besucht. Es war ein Bittgang meines Vaters gewesen, oder der Versuch einer Abbitte, deren Grund ich nie erfuhr. Vater ging langsam und in sich gekehrt neben mir, dabei auf seltsame Weise Rumpf und Schultern wie probeweise verrückend, als suche er in seinem Körper Raum für eine andere Seele. Auch damals war es kalt gewesen, und trotz der Kälte erwartete uns Tante Frieda nicht in der Stube, sondern vor der Hauswand sitzend in einem bis zur Kehle zugeknöpften Mantel. Mein Vater ging hin und kniete vor ihr nieder. Sie blickte zur Seite.
    Himmel, war Schneeberg im April noch kalt! In Halle hatten vor zehn Tagen die Kirschbäume geblüht. Was wollte ich hier? » Machen wir einen Spaziergang?« fragte ich.
    Wir gingen ein paar Schritte vor die Stadt. Oma hing an meinem linken Arm, Elsa klebte hungrig und mißgünstig an meiner Rechten. Um sie nicht zu Wort kommen zu lassen, redete ich hauptsächlich mit Oma, die aber inzwischen müde und verwirrt war und mehrmals fragte: » Hammer itze schuu Mai?«
    Als wir von Schneeberg aus nach Schlema hinabblickten, sagte Elsa langsam auf Hochdeutsch: » Vergiß nicht, daß du dein Glück unserem Unglück verdankst.«
    » Welches Glück«, antwortete ich spröde.
    Ich hatte viel erreicht, aber glücklich war ich nicht: Ich hatte Frau und Kinder verlassen, wurde von zwei Geliebten unter Druck gesetzt und von Alpträumen gequält. An diesen Verhältnissen war ich nicht unschuldig, aber am Unglück meiner Verwandten schon. Hatte etwa ich Großvater und Onkel Bernhard in die Zeche geschickt? Sie hatten sich krummgelegt, damit mein begabter Vater aufs Gymnasium konnte. Aber war ich schuld, daß er ihr Opfer nicht wert gewesen war?
    Elsas Pech hatte damit begonnen, daß sie zehn Jahre älter war als ich. Sie war begabt und wurde gefördert, aber da sie dringend von der Familie fortwollte – später erfuhr ich, daß Vater ihr nachgestellt hatte –, brach sie die Realschule ab und wurde Sekretärin. Da sie einsam war, suchte sie Anschluß und fand ihn ausgerechnet beim BDM . Da sie tüchtig war, machte sie dort Karriere, was ihr nach dem Krieg schadete. Da so viele Männer ihres Alters im Krieg geblieben waren, fand sie keinen. Es gab eine deprimierende Affäre mit einem verheirateten Meister der Blaufarbenwerke Niederpfannenstiel, danach nichts mehr. Lauter historisches Pech. Doch was konnte ich dafür?
    Sie betrachtete mich mit glitzernden Augen, irgendwie verzehrend.
    Andererseits hatte sie, da sie weiterhin begabt und tüchtig war, dann doch noch in der Hauptverwaltung der SDAG Wismut eine Art Karriere gemacht. Sie hatte eine Zweiraumwohnung mit Telefon und besaß ein Auto, keinen Lada wie ich, aber einen Trabi, sogar einen 601, der erst zwei Jahre alt war.
    » Welches Unglück«, fragte ich.
    Sie antwortete nicht. Wir blickten in das

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