Dichterliebe: Roman (German Edition)
daß er schwört, niemals mehr im umgekehrten Falle eine Frau auf dem Trockenen sitzenzulassen. Achtung: Kalauer. Wer soll das verlegen? Wer lesen?
Nun, mich interessiert es brennend. Obwohl mir Ironie bei dem Thema mißfällt. Und das unrhythmische theoretische Vokabular schon gar: Einheitserfahrung, Entbehrungserfahrung – du liebe Güte, was soll das? Die Brust und der Mund, das ist eine Einheit: die erste prägende Einheitserfahrung der Kindheit. Wenn man merkt, daß die Brust nicht immer da ist, wird das die erste Entbehrungserfahrung; eine prägende. Plötzlich muß Mann quäken, damit die Brust zum Mund kommt. Und das bleibt von da an so.
Jetzt wird mir die Lektüre so peinlich, daß ich ins Haus gehe: Man sieht mich ja hier von allen Fenstern aus, mich allein mitten im Terrarium quäken. Noch ein Entbehrender. Mich faßt Erbarmen bei dem Gedanken an all die Irren, die durch das Terrarium schwirren, all diese lebenden und toten und nahen und fernen Besessenen, Robert und Leopold und Gabriel, sogar Jakobs Apparatschiks, überall Anmaßung und Drang und Lächerlichkeit. Kein Erkenntnisgewinn. Wer im Bilde bleiben will, muß mitwirbeln. In dieser Hinsicht allerdings doch noch ein Ergebnis: Auf Robert werde ich ein Auge haben müssen. Der ist ja so bedürftig, der würde sich auch an Sidonie vergreifen.
Keine Zeile mehr von ihm. Auf der Couch versuche ich mich noch ein bißchen an der ruppigen Prosa von Sidonie. Sidonies Wahnsinn ist übrigens noch ganz unverbraucht. Ich habe sie über ihre Kollegen sagen hören: » Die stecke ich alle in die Tasche!« Sie ist ehrlich erstaunt, daß ihr ungeniertes Gesellenstück nicht drei Preise abgeräumt hat. In diesem Punkt könnte es schwierig werden. Also wenn wir heiraten, müssen wir ihre Produktion aus unseren Gesprächen ausblenden.
III
REISEN
nicht mehr mit blindheit geschlagen .
unterwegs sein und sehn: ein helleres licht
Wulf Kirsten
Weil ich nicht mehr schlafen kann, breche ich früh auf; es ist bewölkt, immer noch warm, doch trüb. Koffer ins Auto, noch mal zur Faxbox, falls es Absagen gibt, nein, keine Absage, es geht los. Im Windfang steht plötzlich Gabriel vor mir, der von draußen kommt, das Gesicht zerfurcht, tränennaß. » Tot!« flüstert er erstickt. Wir fallen einander in die Arme. » Es tut mir leid!« stammle ich. Vor den entscheidenden Dingen wortlos, der Tag beginnt mit einer Niederlage. Und birgt nur eine Chance: Abfahrt. Bliebe ich, müßte ich mit Gabriel dreißig Klare trinken. Wir umarmen einander nochmals. In seiner Verwirrung küßt er mich auf den Mund.
*
Im Auto höre ich Bruckners Achte. Der erste Satz schneidet in die Seele, der zweite sendet elektrische Wellen durchs Zwerchfell, dennoch, die in Schmerz wie Sehnsucht überbordend genießerische Musik paßt nicht zu Ostfriesland, seinen fahlen Farben, den akkuraten Kanälen, den scharfen Klinkern der nüchternen Dörfer. Ich schalte aus und gebe mich der Flut der Bilder hin, die mit der Flut der Erinnerungen verschwimmt. Ich bin immer gern gereist. Es lenkte mich von mir ab. Und auch wenn ich in jeder Ablenkung auf mich selber stieß, empfand ich die Umwege als Erlösung.
Aber was bleibt?
Meine tschechischen Abenteuer mit Jakob? Das waren Jakobs Abenteuer, nicht meine.
In Bulgarien war ich – was bleibt davon? – allein. Ich erinnere mich an einen Blumenstrauß, der mir von Germanistikstudentinnen überreicht wurde. Ich hatte nie Blumen bekommen, ich wußte nicht, wie man damit umgeht, und eines dieser Mädchen besorgte tatsächlich an der Rezeption des Interhotels eine Plastevase und beschnitt die Stengel in meinem Bad. Ich überredete sie zu einem Kaffee, dann zu einem Spaziergang im Park. Wir saßen auf einer Bank, doch die schöne junge Marija wollte bloß Gedichte hören, eins nach dem anderen, mit einer Dringlichkeit, die erotische Versuche ausschloß. Vor Verwirrung vergaß ich meine eigenen Gedichte und zitierte Brecht und löste sogar mit der Ballade vom ertrunkenen Mädchen Verzückung aus.
Was bleibt von Finnland? Das Blockhaus eines finnischen Hölderlin-Forschers am Polarkreis. Ich kam hungrig abends an, aber der Forscher wollte sich, während draußen in der Dämmerung die Elche brüllten, gleich über Hölderlin unterhalten statt zu kochen. Dann kam die Ehefrau nach Haus, eine sehr schöne Frau, auch sie dachte nicht ans Kochen, sondern wollte erst in die Sauna.
Nach der Wende war der Osten interessanter als je zuvor; ich bereiste ihn mit neuen Augen.
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