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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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geschundene Schlematal hinab, auf seine Halden und Spitzkegel und Dreckhaufen und zerwühlten Wege, ich sah Staubwolken auffliegen und meinte, das Brummen der Bagger und das Knirschen der Förderanlagen zu hören, tatsächlich aber war es still bis auf das leise Rauschen des Windes zwischen den niedrigen Häusern und die Fehlzündungen eines Mopeds aus den Gassen hinter uns. Großmutter blickte hoch und fragte: » Iss denn nu schuu Mai?«
    » Nein«, sagte ich, » es ist Mitte April.«
    Sie seufzte: » De oarmen Veechel!«
    *
    Seitdem bin ich nicht hier gewesen. Weshalb hätte ich kommen sollen? Um mich meines Selbstverlusts zu vergewissern? Nein danke. Ich komme für eine Lesung, die angesetzt wurde, damit irgendein Kulturbudget nicht verfällt; ein alter Feind aus dem Ministerium tut mir einen boshaften Gefallen. Immerhin bin ich im Blauen Engel untergebracht, der weiterhin als erstes Haus der Stadt gilt. In meinem Zimmer liegt eine Nachricht, daß Frau Ute Mingel mich um 19 Uhr im Kulturhaus Aktivist in Schlema erwarte. Wer ist Ute Mingel? Der Brief enthält einen Grammatik- und zwei Kommafehler. Ich aber spüre keine Empörung. Ich will nur das Geld kassieren und fort.
    Der Blaue Engel ist eine halbe Baustelle, aber er steht an seinem Platz; diese Kontinuität rührt mich. Er steht am Altmarkt unten im Zentrum der Stadt an der Kreuzung Schneeberger und Wettiner Straße. Der Geruch nach Braunkohle und Zweitaktergemisch ist schwächer geworden, dafür hat sich der Verkehr verdreifacht, Kolonnen großer und kleiner Westautos stauen sich an der Ampel vor meinem Fenster und fahren bei Grün gleichzeitig los. Das Dröhnen füllt die Schlucht aus Gründerzeitfassaden.
    Raus hier. Ich suche das Haus meiner Kindheit. Es stand in der Nähe des Hotels Zum Muldental, einem Jahrhundertwendekasten im altdeutschen Stil mit Erkern und Türmchen, vor dem sich Schwarzwasser und Zwickauer Mulde vereinigen. Das Hotel steht leer. Mein Elternhaus verfallen. Im Hof liegen Steinhaufen und Scherben. Ich suche im Schutt nach Splittern unserer Fachwerkhütte, aber sie wurde unter den Ziegeln der Brandmauer begraben.
    Zurück, um in der Bierschwemme etwas zu trinken. Zum Kulturhaus Aktivist in Schlema muß ich dann ein Taxi nehmen.
    Der Taxifahrer erzählt, daß Schlema wieder ein Kurort werden soll. Ich lache ihn aus. » Ward schu waarn!« meint er. Vom Aktivist aus, das am Hang liegt, sieht man allerdings nichts, weil ein energischer Schauer niedergeht.
    Ich betrete das Haus mit nassem Mantel, nassem Haar. Eine irgendwie aufgedrehte Putzfrau richtet mir aus, daß die Veranstaltung drüben im Bruchschuppen stattfinde. Dort gebe es auch Bewirtung.
    Der Bruchschuppen ist wie ein alter Bergstollen mit dicken Holzbohlen ausgekleidet. Leer bis auf mich und die Kellnerin. Ich trinke zwei Gläser Kumpeltod und lese eine Broschüre über Schlema. Blühendes Landschaftsprogramm, wie der Taxifahrer gesagt hatte: Berganlagen würden zurückgebaut, Kegel abgetragen, das Deformationsgebiet der abgesunkenen Talmitte aufgefüllt, Halden befestigt und begrünt, der Kurbetrieb könne schon in drei Jahren wiederaufgenommen werden. Ich verweile bei dem Wort Deformationsgebiet. Ich übertrage es probehalber auf mich und warte wieder vergeblich auf eine Regung des Protests. Inzwischen ist es fünf vor halb acht, der Raum immer noch leer, aber aus dem Vorraum höre ich zwei Stimmen, darunter eine männliche. Ich denke, wenn ein Mann kommt, kommen mindestens drei Frauen. Die Männerstimme, stellt sich dann aber heraus, gehört Frau Mingel, die ich sofort die Aktivistin nenne: eine schrankartige Frau mit dickem Nagellack an den Pranken. Sie tritt Schlag halb acht ein, zusammen mit einer sehr alten Dame. Beide begrüßen mich mit Handschlag und setzen sich vor mich.
    Ich lese zunächst späte Gedichte, weil mir die Auer Dinger längst peinlich sind, aber dann denke ich, wer weiß, vielleicht hat die alte Dame Humor, tatsächlich lächelt sie ab und zu an den richtigen Stellen. Also trage ich doch noch Erzgebirgsreminiszenzen vor, zumindest die ironischen, und bringe als Höhepunkt, während die Aktivistin mit dem Schlaf kämpft, Der Tiefe Blühend Glücksstollen im Hinteren Grund.
    Klarer vierhändiger Applaus.
    Die alte Dame bemerkt: » Do is viel Wahres draa!«
    Frau Mingel übergibt mir mein Honorar mit einer Miene, als halte sie es für übertrieben. Ich frage, ob sie ein Taxi rufen könne, das mich ins Hotel bringt. Frau Mingel drängt mich kurzerhand der

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