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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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den Blumenstrauß in der Hand, und bin verlegen; ich lese die weiteren Buchrücken und staune: Nur gute Literatur! Fast nur Lyrik, klassische und moderne. Warum hat sie mich mitgenommen? Sieht sie mich in dieser Reihe? Oder aus Verbundenheit? Welcher Verbundenheit? Wofür?
    Elsa schlägt die Lider auf. Ihr Blick ist verschwommen. Allmählich kehrt, wie aus dem Jenseits, ihr Bewußtsein zurück. » Ach herrje – Henry?« Ihr Mund bleibt schief, halbgeschlossen, die Stimme klingt brüchig.
    » Elsa.« Ich nähere mich dem Bett und küsse ihre Wange. Sie streichelt mit der lebendigen Hand die kühlen Kelche der Tulpen. » Half mer emol auf!« Ich ziehe sie hoch und setze mich neben sie auf die Bettkante. Sie betrachtet mich prüfend so, wie ich vorher sie betrachtet habe, und greift nach meinem schmutzigen Kragen. Große Schwester. Ja, sieh mich an, deinen erfolgreichen jungen Bruder, der zum Penner geworden ist. Unwillkürlich streiche ich mir übers Gesicht: Bartstoppeln. Ungekämmt. Ich spüre Schlafsand an der Nasenwurzel, Krümel an meinen Fingern, Feuchtigkeit. Freu dich, Elsa. Wenn es mir in zehn Jahren so geht wie heute dir, hab ich Glück gehabt.
    » Freust du dich?« frage ich.
    » Ich?« Sie mustert mich erstaunt, dann zunehmend lebhaft, und beginnt zu lächeln mit ihrem halben Mund: » Haa!«
    *
    Ich war ein schlechter Vater; was überhaupt habe ich eigentlich gut gemacht? Für Berna war ich sogar ein katastrophaler Vater, kein Wunder, daß sie von mir nichts wissen will. Aber Erich hält Kontakt und lädt mich immer wieder ein.
    Als Kind entwickelte er eine fast religiöse Scheu vor mir, warum nur? Ich habe sie nicht beansprucht und fühlte mich ihrer nie wert. Bis er vier war, hatte er Vertrauen. Er tapste im Sommer morgens um halb fünf ins Wohnzimmer zu unserem Ausziehsofa und rüttelte an meiner Schulter: » Vati! Vati! Es ist Morgen !« Mich rührte das, die Neugier, die Freude, aber ich mißgönnte sie ihm auch, denn ich hatte das nie gedurft. Einmal – Lotte war nicht da, ich hatte schwer getrunken und wollte schlafen – stieß ich ihn so heftig beiseite, daß er vor Schreck laut schrie, ich aber hatte rasende Kopfschmerzen und versetzte ihm noch einen Schlag; vorher hatte ich gedroht, wahrscheinlich lallend. Er kroch auf allen vieren wimmernd hinaus. Eine Weile noch hörte ich ihn draußen laut weinen, bevor ich wieder in giftigen Schlaf fiel.
    Das war das Ende seines Vertrauens, doch nicht seiner Sehnsucht. Er hing fast ängstlich an mir, als läge es nur an ihm, den Vater zu behalten oder zu verlieren. Er beobachtete mich mit seinen hellen Augen, wartete auf Augenblicke guter Stimmung, freute sich auf ein Zeichen meiner Aufmerksamkeit, ging stolz und glücklich mit mir in den Zoo. Als vier Jahre später Berna kam, übernahm er Verantwortung für sie wie ein kleiner Vater, offenbar um mich zu entlasten. Berna war ein mürrisches Kind, und er versuchte sie aufzumuntern: » Schau, Berna, es ist schon Morgen! Wenn du brav bist, dürfen wir Vati besuchen!«
    Mich störte der Trubel, die enge Wohnung, die quäkigen Stimmen, der geringe Horizont. Ich bekam den Heinrich-Heine-Preis, beantragte ein Schriftstellerstipendium und verbrachte ein halbes Jahr auf Schloß Wiepersdorf, wo ich wie befreit arbeitete und unter den anderen Künstlern fast sofort eine Geliebte fand. So nahm das Verhängnis seinen Lauf, Lotte und die Kinder zu Besuch im engen Zimmer, ich schickte alle zu dem nahe gelegenen Tümpel baden und schlich zu meiner Geliebten, um mit ihr den Geschlechtsverkehr auszuüben. Ich erinnere mich an Lottes Verwirrung und an Erichs verschleierten Blick. Erich warf den Kopf beiseite, wie um eine Fliege zu verscheuchen, und sagte: » Komm, Mutti!« mit einer kehligen, tapferen Stimme, die ich noch nicht gehört hatte. Ich wußte, ich war ein Sünder. Ich schrieb heftige Gedichte voll Rausch und Reue, und als die Wiepersdorfer Tage endeten, stand meine Ehe vor dem Scheitern. Ich kann nicht sagen, daß ich viel zu ihrer Rettung unternommen hätte. Später handelten Lotte und ich Kinderbesuche aus, ein fürchterliches Schachern voller Eifersucht und Haß. Ich brach viele Vereinbarungen. Manchmal kam Erich von selbst vorbei, und das ist ein Rätsel: Er war erst neun und mußte durch die halbe Stadt. Um sich die Angst zu nehmen, sang er vor sich hin, am liebsten den Kleinen Trompeter , einmal hörte ich selbst das dünne Stimmchen zwischen Haus 121 und 122: Schlaf wohl, du kleiner Trompeter, / wir waren

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