Dichterliebe: Roman (German Edition)
weißt nicht, wer sie dir ausgespannt hat?«
» Ick weeß nich, mit wem ick se betrogen hab!«
Theo besitzt eine Datsche, eigentlich eher einen Container ohne Wasser, ohne Strom, auf einem Sandhaufen in Brandenburg. Dorthin zieht er sich seit Jahren zum Schreiben zurück. Einmal kam seine Frau aus Berlin, zählte die Präservative in der Schublade und verließ ihn, weil drei fehlten. Und er weiß nicht mal, mit wem er die verjubelt hat. Wahrlich ein Mißgeschick.
Er rätselt über seine Gedächtnislücken. Kürzlich lernte er eine Dramaturgin vom Berliner Ensemble kennen, die behauptete, mit ihm per Du zu sein. Tatsächlich kannte sie seine ganze Lebensgeschichte. Sie sagte, er habe sie im Auto von Berlin nach Beeskow mitgenommen und ihr alles erzählt. Er habe sich verfahren und sogar eine Freundschaftserklärung abgegeben. Er aber war so besoffen, daß er sich Tags darauf nicht erinnerte: weder an das Gespräch, noch an die Fahrt, noch auch nur an die Frau. Er kichert, was ich zunächst sportlich finde, auf die Dauer aber übertrieben. Er kichert wie ein Geistesgestörter, ehrlich gesagt.
» Was gibt’s zu kichern?« fahre ich ihn an.
» Ick frag mir seit Wochen, wie man n Nebenbuhler umbringt, wa! Und hier bei mei’m Kumpel klopft an der Hintertür n Russe und bietet Benzin an, faßweise. Nee, sar ick, Benzin brauch ick nich, bin die Fleppen los. Aber haste nich ne Kalaschnikow? – Kalaschnikow, klar, sagt er. Kost 315,45 Mark. Und während ick mir noch den Kopp zerbreche über die 45 Pfennije, erklärt er, er hat ooch Granaten und Kanonen im Sortiment, und allet übrije bis zu Schwimmpanzern …«
Das interessiert mich. » Und, hast du die Kalschnikow?«
» Nee, wie sollt ick die bezahlen?«
Sein Konto wurde gesperrt, er mußte Sozialhilfe beantragen.
Wir bestellen zwei Runden auf einmal; kurze Mißstimmung, als die Kellnerin sich weigert, mir eine Schachtel Marlboro zu bringen. » Könn Se sich selber holen, bei die Toilette!«
» Ich habe keine Münzen!«
» Da ham Se fünf Mark, setz ick uff die Rechnung!«
» Unverschämt!« schimpfe ich. » Das wird hier nie was!«
Theo schüttelt den Kopf. » Mann, in wat für ner Welt lebste eijentlich?«
Er hat immer naiver getan, als er war. Die Berliner Proletennummer schützte ihn im Arbeiter- und Bauernstaat. Wenn die Organe ihm seine Reden vorhielten, antwortete er: » Da muß ick besoffen jewesen sein!«, was nachprüfbar stimmte. Aber wie überlebt so einer im harten Kapitalismus?
Na, sein Kumpel vom Theater hat ihm eine Serie von Shakespeare-Übersetzungen aufgetragen. Da kriegt er von jeder Abendkasse Tantiemen.
Kann er Englisch?
» Wat denn, woher denn?« Er verwandelt ältere Übersetzungen in einen frischen, zeitgemäßen Ton. » Trauste mir det zu?« O ja. Wir stoßen darauf an.
Seine Hochform erreicht er in den Rüpelszenen. Wörter wie Seichtbold und Trockenbachstelze ersetzt er mit Flachwichser und Dünnbrettbohrer. Das hat er drauf. Kerl, dich schleif ich, bis dir das Wasser in der Fuge kocht! – Wart ab, ich haue dich zu Puppenlappen!
Ein Anflug von Traurigkeit: Er hat gute eigene Stücke geschrieben. Früher – früher! zu DDR -Zeiten – wurden sie wegen Brisanz nicht aufgeführt, jetzt – fünf Jahre später – werden sie wegen mangelnder Brisanz nicht aufgeführt. Ist es da nicht legitim, daß er sich von Shakespeare raushauen läßt? Er grinst traurig.
Und schlägt mir auf die Schulter. » Hey Mann, wat war die DDR interessant! Wer im Irrtum lebt, hat ein Irrtums-Schicksal, aber es bleibt immer noch ein Schicksal, wa?«
Haben nicht auch unsere Erinnerungen starke Farben? Der Aufbau in Mangel und Hoffnung. Dampfbetriebene Eisenbahnen, die regelmäßig vor Hügelkuppen verreckten. Waggons aus der Kaiserzeit, deren Abteile nur von außen zu betreten waren, der Schaffner hangelte sich auf dem Trittbrett von Abteil zu Abteil. Nachkriegszivilisation mit Leningrad -Fernseher, einem großen Kasten mit ganz kleinem bläulichem Schirm. Unvergeßlicher Eindruck: ein Kriegsfilm – Titel vergessen. Wie die SS in Berlin den Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn flutete. Tausende Menschen, die dort Schutz vor den Bomben suchten, ertranken. Ein Hund kletterte auf einen schwimmenden Koffer und blieb oben, bis die Flut die Decke des Schachts erreichte und Hund und Koffer unter Wasser drückte.
Erste Liebeserfahrungen!, will Theo da schon gemacht haben, mit sechs! Eine andere Generation, da war alles schon lockerer. Ich wartete angstvoll, gierig
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