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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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schwenkend, auf den Betrachter zu. Unter dieser Phalanx steht auf einer meterlangen geschwungenen Girlande in Großbuchstaben: LASST UNS PFLÜGEN , LASST UNS BAUEN , LERNT UND SCHAFFT WIE NIE ZUVOR . Ein Gruß von Johannes R. Becher, dem Vater meines Literaturinstituts, das ist historische Ironie; nein, Hohn. Ich betrete die triste Vorhalle. Ein handgemaltes Schild Essensausgabe weist in einen breiten Gang, an dessen Fensterseite auf Drahtstühlen Werktätige mit Alubesteck an Sprelacart-Tischen Brühnudeln und Linseneintopf löffeln. Eine quadratische Durchreiche gibt den Blick in die Küche frei. Gelbliche Kacheln. Ockerfarbener Linoleumboden. Ich möchte speien.
    » Wo ist die Rezeption?« frage ich eine verschwitzte Köchin.
    » Rezeption ham wa nich!« Sie reicht mir über die Theke einen Schlüssel, an dem ein ausgelaugtes Holzstück mit einer Nummer hängt. » Rückgebäude, dritter Stock.«
    Natürlich gibt es keinen Lift. Ein versifftes Arbeiterwohnheim! Zelle fünfzehn, Schaumstoffmatratze, Dusche und WC auf dem Gang. WUT ! Zwei Nächte hier: Hart, Dichter, ist dein Gnadenbrot, und bitter der Schlaf des Versagers.
    Meine erste Veranstaltung am Abend ist vor Schülern in einer Aula – Riesenunruhe, offene Türen, » hey haste nicht« und » du mich auch« und » ich mach jetzt Vokabeln«, ein Kommen und Gehen, nach dem dritten Gedicht verlasse ich das Podium – Gottseidank sitzen da mehrere Schriftsteller, so daß ich entbehrlich bin, welche weiß ich nicht, ich bin bereits zu betrunken, um jemanden zu erkennen.
    *
    Heute die letzte Lesung. Allerdings: noch ein ganzer Tag in Frankfurt an der Oder, was macht man da, bis die Kneipen öffnen? In den Lennépark? Klein und verwahrlost. Die Stadt selbst? Aufgerissenes Kopfsteinpflaster, bröckelnde Häuser mit schrundigen Mauern, überall Baugerüste, die über die Gehsteige reichen, man verirrt sich in diesem Gestänge, Gerüste, von denen der Regen tropft, Schutthaufen. Ins Arboretum nach Neuberesinchen? Wie kommt man hin, was bringt’s, vergißt man sowieso alles. Also ins Kleist-Museum. Vergleichsweise gepflegtes Barockklötzchen am Oderufer. Auf der anderen Flußseite melancholisches, nasses Heideland. Hinüber nach Polen? Die Brücke ist wie die ganze Stadt zugestaut von Autos, die nach Slubice wollen, billig tanken, Bratwurst essen. Porsche: wahrscheinlich Strafzettel, und wo steht er überhaupt? Nein, Museum. Kleist.
    Kleist habe ich bei jedem Frankfurtbesuch Reverenz erwiesen. Jedesmal las ich in der Biographie-Abteilung die leidenschaftlichen Briefe des Dichters. Früher mit Entzücken über diesen Berserker des Nominalstils. Meine Bewunderung galt der wüsten Luzidität, der Schärfe im Taumel, der bizarren Erotik, ja, sogar der exzentrischen Moral; vor allem aber dem machtvollen Ausdruck, ich spürte fast körperlich seine befreiende Kraft. Allmählich mischte sich in die Bewunderung Bedauern: das Benennen eine wirkungslose Waffe gegen die rohe Welt, deren Heillosigkeit auf die Sprache übergriff. Wo ist der Platz , den man jetzt in der Welt einzunehmen sich bestreben könnte, im Augenblicke, wo alles seinen Platz in verwirrter Bewegung verwechselt? Noch später Trauer: Die Waffe richtete sich gegen den Dichter selbst, sie hat ihn nicht nur nicht gerettet, sondern vernichtet. Zuletzt Angst: Hier vollzog sich ein Gesetz, das auch mich betrifft. Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Von dort direkt in die Kneipe.
    Am Nebentisch sitzt ein aufgekratzter rothaariger Säufer mit wolligem, glänzendem Prophetenbart. Er kichert, gießt nach, grinst mich an, schüttelt den Kopf, prustet. Soll ich mich prügeln? Er ist einen Kopf größer. Während ich ihn taxiere, greift die bleierne Woge der Einsamkeit nach mir, ich sitze gelähmt … Kann kaum die Augen offenhalten.
    » Mann, Henry, erkennste mir nich?«
    Ich schüttle den Kopf.
    » Ick hätt dir ooch nich erkannt, so jeschoren … Bei mir is umjekehrt, früher hatt ick keen Bart …«
    » Ich erkenne niemanden«, sage ich trostlos, » ich bin blind.«
    » Dafür kuckste zu böse … Hey, Henry, ick bin Theo Hünemörder!«
    O Schreck. Mein Kollege, der Dramatiker, der sich seit zwanzig Jahren totsäuft. Warum ist der so munter? Und wie kommt er hierher?
    » Na jenau wie du!«
    Er setzt sich zu mir. Auch er sei abgestürzt, erzählt er, nach einer soliden Phase, in der er sogar einen Sohn gezeugt habe. Auch ihn verließ die Frau. » Ehrlich, und ick weeß nich mal, wegen wem!«
    » Du

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