Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
Vom Netzwerk:
Briefe und zwei Zeitungen – ich studiere die Poststempel. Seit mindestens drei Tagen verreist. Seit bloß drei Tagen. Mir kam die Zeit länger vor. Ich bin halb erschüttert, da ich sie entbehre, halb erleichtert, weil mein Gedächtnis nicht trog: Sie hatte ihre Reise tatsächlich angekündigt. Sie schrieb deshalb nicht, weil sie unterwegs war. Sie hat mich nicht mißachtet. Sie macht Lesungen und verdient Geld. Ist ja gut so – ich könnte sie ohnehin nicht ernähren.
    Um halb zehn Dämmerung, noch oder schon? Es ist frisch und windig, ich esse allein auf meiner Terrasse Beutelsuppe, ich trinke nicht. Fledermäuse geistern um mich herum mit ihren unhörbaren Schreien. Auch hier im Norden werden die Tage kürzer. Der Höhepunkt des Sommers ist überschritten, dennoch bin ich fast glücklich. Ich fühle mich zu Hause. Draußen zwar keine Menschenseele, aber hinter den Fenstern Lichter. Alle arbeiten. Gut, daß niemand mich sieht. Mensch-Henry-wie-siehst-du-denn-aus, das brauche ich nicht.
    Früh zu Bett nach zehnstündiger Fahrt. Fester, sauberer Schlaf. Morgens erquickt, Vögel, noch mal eingeschlafen. Traum von Maritas Vater, der nach einem beigelegten Zwist zwischen mir und Marita sagt: » Die überzeugendste Charakterentwicklung hat der durchgemacht, der vom Tisch weggeht. Aber das einzige, was ihr beide verdient habt, sind Grübchen.« Vater und Tochter haben Grübchen. Ich sehe zwischen ihnen hin und her.
    Später träume ich, ich liege wie gefällt auf dem Rücken, und Marita kommt herein. Nein, es ist nicht Marita, zu breit, zu jung. Sie gleitet ins dämmrige Zimmer wie eine Krankenhausschwester frühmorgens, um Blut abzunehmen. Ich soll mich aufrichten und meinen Arm heben, aber ich kann nicht. Ich liege da und zittere. Sie sieht nüchtern auf mich herab – es ist Sidonie.
    » Ich räume auf«, sage ich.
    » Was?«
    » Meinen Kopf.«
    » Tu’s nicht. Du schaffst das nicht. Du bist schwach.«
    » Ich bin nicht schwach, ich bin schlecht.«
    *
    Laut Irene kehrt Sidonie am Sonntag zurück. Wieder prüfe ich ihren Postkorb. Diesmal liegen zwei Faxe darin, Rezensionen. Keine bedeutenden, den Überschriften nach das Übliche, eine lobt, eine tadelt. Aber eine ist mit Bildern, mehrere junge Autoren sind darauf, unter ihnen sie: die grauen Augen, zärtlich, erwartungsvoll, naiv – mein Gott, wie wunderbar, und das wird meine Frau! Ich gehe, dieses Foto memorierend, zu meinem Haus. Ich kehre um und nehme das Fax mit. Es in Händen zu halten erfüllt mich mit Wonne. In meinem Schafstall lege ich’s vor mich auf den Kaffeetisch und später, zum Mittagsschlaf, mir auf die Brust. Da ruht es leicht wie ein Engelskuß, eine flaumige kitzlige Elektrizität durchdringt meine Haut und breitet sich in mir aus, daß ich zu schweben meine.
    Die Besprechung, lese ich später, ist ein Verriß. Sechs Jungautoren werden abgehandelt, davon drei ungnädig, und über Sidonie gibt es nur einen Satz: » Als dann Sidonie Fellgiebel las, nahm die Langeweile existentielle Formen an, so daß die Zuhörer in Scharen den Saal verließen.« Ich bin entspannt, so was regt mich nicht auf. Ich werde sie trösten. Mit dem Blatt auf der Brust schlafe ich ein.
    Es wird ein gutes Arbeiten. Korrekturen am Karatschinzew, schöne Einfälle, nach dem Tagwerk zufrieden zum Kamin. Ich habe mir ein Pflaster über die Braue geklebt, die Lippe ist noch geschwollen, das Kinn lila, aber ich bin rasiert und gefaßt. Man grüßt mich freundlich, ich lächle, überstehe würdevoll das Mensch-wie-siehst-du-denn-aus und setze mich an den Rand, da alle feuernahen Plätze belegt sind. Es ist nicht mein Abend und muß es nicht sein. Außer Gabriel sind ein paar Bildende da sowie eine neue Kollegin, ebenfalls aus dem Osten. Auf dem niederen Holztisch stehen mehrere Flaschen Bier und Wein und zwei Dosen Salzstangen. Ich beeindrucke mich selbst, indem ich drei Klare ablehne.
    Gabriel hat das Wort. Gabriel seufzt, Gabriel schäkert, Gabriel säuft. Ich nicht.
    Gabriel spricht mit Tränen in den Augen über Anna. » Ich kann nicht mehr mit ihr telefonieren, das ist schlimm. Und die Leitung nach oben steht noch nicht.«
    Kann ich ihm beistehen, ohne zu trinken? Will ich es?
    » Zum Trauern ist noch zu viel Trubel – Bürokratie, Beerdigung … Ich muß alles richtig machen«, sagt er mit Märchenstimme, » denn mit Sicherheit sieht sie von oben zu. Schwarzer Anzug und Jacke, weißes Hemd, schwarzer Schlips … Sie würde mir da nichts durchgehen lassen.«
    Anna war

Weitere Kostenlose Bücher