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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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kommt nicht, wo bleibt sie, was, wenn sie nie mehr kommt?
    Man redet über die Rechtschreibreform, die von den Ministerialen säuerlich verteidigt, von mir komplett ignoriert wird. Ich wende mich an Lucie Materna, um überhaupt mit einer Frau zu sprechen, doch Lucie greift das Reformthema feurig auf. Sie hat nämlich selbst eine orthographische Vision: Alle richtungsweisenden Wörter müßten mit » v« geschrieben werden, wie v orwärts und V otze auch V eil (Pfeil).
    Die Ministerin wirkt gerührt. » Man sollte Ihnen den Nobelpreis verleihen.«
    O ja, ruft Lucie, den Nobelpreis wollte sie immer schon, wenn nicht für Literatur, dann für eine Erfindung. Neulich etwa sei ihr eingefallen, was für eine großartige Leistung die Pflanzen vollbrächten, die Sonnenlicht mittels Chlorophyll in Zucker verwandeln. Könnten wir Menschen nicht unsere Ernährungsprobleme lösen, wenn wir die Form des Chlorophyll-Moleküls nachzumachen lernten? Lucie steht auf und macht schüchtern lächelnd eine niedliche Verrenkung, die möglicherweise eine Annäherung an das Chlorophyll-Molekül darstellt, balancierend auf schwarzen Seidenpumps.
    *
    Ich schreibe wieder Gedichte. Es verkürzt das Warten. Es veredelt das Warten. Es rettet mich, obwohl immer ein Ton von Vergeblichkeit und Verderben aufscheint. Es rettet mich, weil dieser Ton aufscheint. Denn der Ton grundiert wirkungsvoll etwas anderes, das mich erleuchtet.
    Am Abend findet in der Scheune eine Kabarettveranstaltung statt: Der deutsche Meister im Dampfreden und sein unmündiger Bruder präsentieren: FLUTGEFLECHT . Viele Besucher aus dem Umland sind gekommen und amüsieren sich kraftvoll. Nachts feiern wir am Kamin mit den beiden mopsfidelen Kabarettisten.
    Lucie, immer noch aufgekratzt, sagt zu den ungleichen Brüdern, sie habe sofort gesehen, daß sie Brüder seien. » Ihr habt das gleiche Fleisch.«
    » Wie?« rufen die Brüder gleichzeitig. Das habe noch keiner gemerkt. Also, das wollten sie jetzt genauer wissen.
    Lucie merkt, daß man über sie schmunzelt, wird plötzlich verlegen und läßt vom Fleisch der Brüder ab. Kommt statt dessen auf mystische Themen, worauf ihr Robert widerspricht.
    Lucie und Robert erklären einander ihre prinzipielle Feindschaft. Sie findet ihn akademisch, er sie verschwiemelt.
    Sie sagt, er sei ein zersetzender Skeptiker.
    Er erwidert: Skeptiker – ja. Darauf sei er stolz. Aber warum zersetzend?
    Sie: Weil Skeptiker nicht lieben könnten. Skeptiker stellten immer nur Ungenügen fest. Skeptiker könnten nur hassen.
    Er: Wie komme sie darauf?
    Sie: Man könne nicht skeptisch lieben.
    Er: Doch, durchaus. Man könne lieben im Bewußtsein, daß Liebe vergänglich ist. Man küsse dann im Bewußtsein, daß es vielleicht der letzte Kuß sei. Das mindere aber nicht den Genuß. Vielleicht erhöhe es ihn sogar?
    Sie: Er sei zynisch und berechnend, ein richtiger Studierter, sie hasse ihn!
    Bernd: Was hätten eigentlich alle gegen die Studierten? Auch Gabriel äußere sich immer in der Richtung.
    Worauf Gabriel bemerkte: Ganz falsch, er habe keineswegs etwas gegen Studierte. Obwohl es natürlich zutreffe, daß er sie nicht leiden könne, vor allem die Herren Germanixen von der Uni, die könnten ihn kreuzweise.
    Ich gehe hinaus, um zu rauchen. Lucie folgt mir. Während wir rauchen, sagt sie verzagt, sie wisse manchmal nicht, was sie rede. Sie sei sehr, eigentlich bis zum Grunde, zerstörbar.
    Durch wen?
    Durch Intellektuelle komischerweise. Gegen normale Männer könne sie sich wappnen, aber gegen Intelligenzler nicht. Und noch gefährlicher seien Frauen. Sie vertraue denen zu sehr, und plötzlich drängten die durch alle Türen ein. Sie müsse dann um ihr Leben kämpfen, sie wieder rauszudrängen.
    » Sind die Türen metaphorisch gemeint?«
    » Ja natürlich.«
    Was uns aber rette, sei die Kunst, fügte sie nach einigem Nachdenken hinzu.
    » Uns? Wodurch?«
    » Na, geht es dir nicht so?« fragte sie. » Kunst schaffen ist doch in den Momenten, wo’s gelingt, wie ein Orgasmus!«
    Kein Wunder, daß die Ministerin entzückt war, ich bin es ebenfalls. Die Beweglichkeit, das Spiel der funkelnd bloßliegenden Nerven! Auch literarisch ist Lucie reizvoller als die robuste Sidonie. Aber da ist natürlich gar nichts zu machen, ihr Kerl, der mit dem Schaufelkinn, ist eifersüchtig wie ein Specht. Wie hält sie das aus? Nie sah ich ihn zärtlich im Umgang mit ihr. Als wir zurückkehren, schiebt er die Unterlippe vor und zieht die Mundwinkel herunter, so daß sein Mund

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