Dichterliebe: Roman (German Edition)
allein – erstens in dieser Situation, zweitens privat als gekündigter Liebhaber und drittens als vereinzelter Schriftsteller, das schon gar. Sie leben vom Fracksausen, hatte Frank Zisler gesagt, nicht von KZ und Folter. Sie leben von unserer Bereitschaft, Angst zu haben. Sie leben vom Versagen, das keinem erspart bleibt, vom Pech, das jeder hat. Und sie leben von der Selbstverunsicherung, die Teil des Künstlers ist. Ein Maurer oder Ingenieur sieht vor sich, was er gemacht hat. Ein Künstler aber lebt von gefühltem Wert; wer ihm den streitig macht, greift nach seiner Seele.
Kühl tun. Gegendruck erzeugen. » Sie interessierten sich für den jungen Mann aus der oberen Etage?«
» Nun, nicht wirklich. Heute interessieren wir uns für Sie.«
Gelassenheit demonstrieren. » Wahrscheinlich wissen Sie mehr über mich als ich selbst.«
» Wie kommen Sie darauf?«
Sie waren mir über. Mein Hirn leergefegt. Bis zu diesem Augenblick hätte ich nicht mal sagen können, wie sie aussahen, so stark achtete ich auf mich. Jetzt versuchte ich sie aufzunehmen. Der eine sah aus wie ein großer Frosch, breit, schmierig; aus nackenlangem Haar rieselten Schuppen aufs Jackett. Der andere war kleiner als ich und wirkte auf den ersten Blick niedlich mit seinen braunen Knopfaugen und der gewölbten Stirn. Auf den zweiten Blick fiel die gekrümmte Boxernase auf. Der Große war der Beobachter, er grinste gemütlich vor sich hin. Der Kleine redete, intelligent, rasch, infam. Einer, der Angst schürte und genoß. » Wie kommen Sie darauf?« wiederholte er.
Vorsicht. Nichts gegen die Stasi sagen. Du kommst da nicht raus.
» Ich habe es vergessen. Sagen Sie mir, was Sie wissen möchten.«
» Wir hören, ein Manuskript von Ihnen sei beim Klassenfeind aufgetaucht.«
» Wie?« Das war mir neu. Gleichzeitig schmeichelte es.
» Sie können uns sicher sagen, wie es da hingelangt ist.«
» Ehrlich, keine Ahnung. Warum sollte ich … Ich weiß nicht mal … bei einem Verlag, oder wo? Bei welchem Verlag?« (Elektrisiert.)
» Warum sollten wir Ihnen glauben? Bei Ihren letzten beiden Westreisen haben Sie versäumt, den Schnellreisebericht abzuliefern.«
In der Tat, zuletzt hatte ich mir diesen Unfug erspart. Zu verheimlichen gab es nichts. Westverlage hatte ich nie aufgesucht. Als ich begann, mich zu verteidigen, lachten die Männer mich aus.
» Im Schriftstellerverband liegt schon wieder ein Antrag von Ihnen … schon das zweite Mal in diesem Jahr ins nichtsozialistische Ausland.«
Wollen Visum verweigern! » Es geht doch nicht in die BRD , sondern nach Rom – ein Forschungsauftrag …«
» Ja«, schnaufte der Dicke, » in Rom, da würden wir auch gerne forschen.«
Sie blieben eine Stunde und fragten nach verschiedenen Kollegen, ich mauerte, es strapazierte und demütigte mich. Als sie aufstanden, sagte der Kleine: » Sie werden demnächst eine Festrede zum 100. Geburtstag des Grimma-Verlags halten.«
» Ja.«
» Der Wortlaut dieser Rede wurde vom Genossen Freitag redigiert.«
» Ja.«
» Sie haben sich nicht dazu geäußert.«
» Doch. Ich sagte dem Genossen Freitag, bei künstlerischen Fragen … Wenn ich mich literarisch belehren ließe, was wäre ich dann als Literat wert?«
» Fachleute versäumen bisweilen, über den Tellerrand zu blicken.«
Ein letzter, matter Versuch: » Ist die DDR Ihrer Meinung nach eine Demokratie?«
» Bezweifeln Sie das?«
» Was haben Sie gegen Kritik?«
» Daß sie die Demokratie gefährdet.«
Im nachhinein ärgert mich vor allem die Länge der Prozedur. Man hätte mich offen erpressen können, anstatt sich am Schauspiel meiner Demoralisierung zu weiden. Rom, dachte ich, das muß noch sein. Vielleicht bleibe ich dort, das haben die dann davon. Ich räusperte mich. Sie lächelten.
» Ich werde im Sinne des – äh, Genossen Freitag … relativierende Bemerkungen einbauen.«
» Inzwischen geht es nicht mehr um Relativierung, sondern um die Erwähnung von zwei Autoren. Die Erwähnung hat zu entfallen, da die betreffenden Personen eine ablehnende Haltung zur gesellschaftlichen Entwicklung der DDR einnehmen.«
» Wie kann ich einen Verlag rühmen, ohne seine Künstler zu erwähnen?«
Keine Antwort.
» Was ist der Grund für die verschärfte Redaktion?«
» Wir sind Hinweisen nachgegangen. Das ist unser Beruf. Auch Ihr Westmanuskript war so ein Hinweis. Die Überprüfung in dem Fall ergab allerdings nichts. Herr Steiger, auch in der BRD wird Ihre Lyrik nicht besonders ernst genommen.«
Nichts
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