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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Morsbach
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eine Hufeisenform annimmt. Er redet ironisch zu ihr und zu allen. Heute morgen, als ich ihm schwerbeladen mit Flaschen aus dem Edeka entgegenkam, rief er: » Ah, der Großkünstler!« und ging stracks auf mich zu, um mich zum Ausweichen zu zwingen.
    *
    Eines Tages erhielt ich einen Brief aus Wien. Ich in meiner Zone einen Brief aus der majestätischen ehemaligen k.u.k.-Hauptstadt Wien. In einem gefütterten Umschlag aus zartgelbem Papier. Auf der Rückseite der Aufdruck: MA Graziella Winterthal, im nachhinein glaube ich, es stand Baronesse dabei. Meine Adresse handgeschrieben mit violetter Tinte wie in einem Trivialroman. Ein steifer Briefbogen mit Leinenstruktur, kein Vergleich mit unseren dünnen Lappen, die bereits Falten schlugen, wenn man sie in die Walze zog. Keine ausgebesserten Tippfehler, keine durchgebohrten i-Punkte, keine verschmierten e-Köpfchen. Als sei es ohne Durchschlag geschrieben. Ein Freund klärte mich auf, daß wohlhabende Menschen im Westen nicht mehr auf Schreibmaschinen, sondern auf Kleinrechnern arbeiteten. Von diesem Freund habe ich zum ersten Mal das Wort Computer gehört. Auch er betrachtete das Blatt mit Andacht.
    Der Inhalt: Die Unterzeichnete sei Germanistin an der Universität zu Wien und arbeite an einer Dissertation über mich. Ob sie den Hochverehrten Herrn Steiger mit ein paar Fragen zu seinem Schaffen behelligen dürfe. Das anmutig verstaubte Bürokratiedeutsch mit weiters und gnädig und gewiß erschien mir diesseits der Mauer so exotisch, daß ich jauchzte. Ich präsentierte den Brief als Trophäe einigen Kollegen, die unter deutlichen Anzeichen von Neid Warnungen murmelten: Eine solche Sprache könne nur Ironie sein, Koketterie, Camouflage. War die Autorin einfältig? Neurotisch? Verstiegen? Eine Spionin? Ich fragte mich, weshalb mich etwas davon schrecken sollte. Es war prickelnd, auf jeden Fall in meiner, wie gesagt, Zone eine phantastische Abwechslung, und da die Fragen zu meinem Schaffen vernünftig waren, begab ich mich froh in eine umfangreiche Korrespondenz mit Frau Winterthal, die ich als » Hochverehrte Magistra« anredete. Ich bewegte mich fast übermütig in diesem ziselierten Ton und strich selbstbewußt das Lob dafür ein, ich fühlte mich gewissermaßen wie beim Opernball in einer Baracke, etwas albern, ja, aber der Mensch braucht Abwechslung. In der Hoffnung, Ihnen mit diesen Auskünften gedient zu haben, Ihr ergebener, das war doch was, darauf wäre in unserer schlumprigen DDR weiß Gott kein Arsch gekommen.
    Übrigens war Graziella eine verlegene, sogar gehemmte Korrespondentin, und ich mußte mir viel einfallen lassen, um die Sache am Laufen zu halten. Allmählich verblaßte der Reiz. Die germanistische Energie der Baronesse schien begrenzt. Wahrscheinlich würde die Dissertation niemals fertig, dachte ich, durchaus gekränkt.
    Privat und beruflich war ich längst in Schieflage. Meine junge Frau fuhr ohne mich mit dem Kind an die Schwarzmeerküste, vorsätzlich um sich von mir zu erholen; ich verbrachte den Urlaub zu Hause allein. Erschöpfung und Unmut ringsum. Tausend Landsleute flüchteten in die Prager Botschaft. Plombierte Züge durchquerten nachts die Republik. Alles geriet in Bewegung, während ich rauchend vor dem Fernseher saß. Wien tauchte auf dem Bildschirm auf, und plötzlich verfiel ich in seltsame Euphorie und schrieb an die Unvergeßliche Magistra Graziella, daß eine Verflüssigung der Strukturen, wie sie gegenwärtig sich bemerkbar zu machen scheine, ja nicht nur beängstigend, sondern auch verheißungsvoll sei; daß ich jedenfalls hoffte, die Entwicklung fortschreiten zu sehen; und daß Graziella selbst durch ihr unvoreingenommenes Eintreten für die ostdeutsche Literatur womöglich einen Anteil daran habe, wofür ich ihr ohne weiteres ganz einfach dankte.
    Beim einfach blieb es nicht. Trotz oder wegen meiner Furcht schrieb ich mich in eine geheimnisvolle Verbundenheit. Hatte mich nicht zuletzt die Ausweglosigkeit beinah erstickt? Mußte ich nicht als Gelähmter, Versagender froh sein über die äußere Bewegung? Und hatte mich Graziellas Interesse nicht wirklich drei Jahre lang gut unterhalten?
    Graziella antwortete zwei Wochen später mit einer Einladung nach Wien.
    Marita war aus dem Urlaub zurückgekehrt, und ich kämpfte um meine Ehe. Es gab keinen Grund, das Graziella zu verschweigen, doch auch keinen, sie damit zu belästigen. Also erklärte ich der Einfachheit halber mit dankbaren Grüßen, ich hätte kein Visum

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