Dicke Hose (German Edition)
Kneipenbekanntschaft. Denn Freundschaft, das weiß ich jetzt, fühlt sich anders an.
Victorias beharrliches Schweigen bereitet mir weitaus mehr Kopfzerbrechen. Natürlich ergab sich in dem ganzen Trubel bislang keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Aber dies sind meine letzten Stunden bei Miucci. Schließlich dürfte meine Anwesenheit hier nur noch so lange erwünscht sein, bis das Event glatt über die Bühne gelaufen ist. Meine letzte Chance ist somit hier und heute.
Gerade versammeln sich alle vollkommen erschöpft in der Sitzecke. Victoria streift ihre hohen Schuhe von den Füßen und lässt sich seufzend auf das Sofa plumpsen. Die Möhre setzt sich daneben. «Also, ich fand es phantastisch», schwärmt sie. «Einen so wunderbaren Tag haben wir schon lange nicht mehr erlebt, oder, Bruno?»
Ihr Mann, der gerade noch mit seinem neuen italienischen Freund über die Vorzüge von mediterranen Natursteinplatten gefachsimpelt hat, pflichtet ihr bei. «Ja, Lotti, die letzten beiden Tage waren für unseren sonst so beschaulichen Alltag wirklich außergewöhnlich.»
Die beiden strahlen sich an.
Bei so viel Glück muss ich unwillkürlich zu Victoria blicken. Sie hat die Füße angezogen und sitzt exakt so da wie vor drei Tagen, als wir kurz danach übereinander hergefallen sind. Müde, aber durchaus interessiert, verfolgt sie die Unterhaltung der Lembkes und lächelt.
«Schön, dass es Ihnen gefallen hat. Falls Sie sich in die Kundendatei eintragen, bekommen Sie in Zukunft für derartige Events eine persönliche Einladung nach Hause geschickt.»
Die Möhre hört nicht auf zu strahlen. «Ach, das wäre schön!»
«Es sind noch Spieße da!» Florian kommt mit einem Teller aus der Küche. Offenbar hat er sich dort über die Häppchenreste hergemacht, denn er kaut gerade mit vollen Backen auf etwas herum. Vermutlich will er sich noch ein letztes Mal satt essen, bevor sein Vater ihm nächste Woche das Taschengeld kürzt.
Als auch Kai sich endlich gesetzt hat, spricht der Chef aus, was alle denken: «Na, das ist ja noch mal gutgegangen heute.»
«Und es lief gar nicht mal so schlecht.» Kai grinst.
«Ja, das sehe ich auch so.» Signor Micolucci lehnt sich zufrieden zurück, um dann zu einer Rede anzusetzen: «Nun, da das Tageswerk vollbracht ist, möchte ich mich bei allen Beteiligten noch einmal ganz herzlich bedanken.» Er sieht nacheinander jeden Einzelnen in der Runde an. «Nicht nur das Event, auch die Verkaufszahlen der letzten Monate sagen mir, dass hier einiges richtig läuft.»
Ich atme erleichtert auf. Wusste ich es doch, Victoria ist nichts vorzuwerfen.
Auch der Chef bleibt mit seinem Blick jetzt bei ihr hängen. «Insbesondere die Eigenmarke Miucci hat ein enormes Umsatzplus zu verzeichnen. Und wem ich das eigentlich zu verdanken habe, weiß ich leider erst seit gestern.»
Victoria schießt vor Verlegenheit das Blut in den Kopf. Ihre Wangen glühen geradezu.
«Liebe Frau Wendt, es tut mir leid, dass ich so lange auf das falsche Pferd gesetzt habe.» Er wirft einen kurzen Seitenblick auf seinen Sohn. «Deshalb möchte Ihnen heute mitteilen – nicht als Wiedergutmachung, sondern weil ich glaube, dass niemand diesen Job besser machen könnte –, dass ich Sie ab sofort bei Miucci zur Geschäftsführerin befördere. Ich hoffe sehr, dass ich damit Ihren Wunsch nach Selbständigkeit noch eine Weile hinauszögern kann. So etwa fünfzig Jahre!»
Er lacht derart mitreißend, dass alle mitlachen müssen. Dann richtet sich die Aufmerksamkeit auf Victoria, der jetzt Tränen in die Augen treten. Man kann sehen, wie sehr sie das Lob ihres Chefs freut.
Aber außer Stolz liegt noch etwas anderes, etwas Undefinierbares, in ihrem Blick. Unruhig rutscht sie auf ihrem Platz hin und her, dann räuspert sie sich, um zu sprechen.
Meiner Einschätzung nach wird sie das Angebot ihres Chefs annehmen. Vielleicht nicht für fünfzig Jahre, aber wenigstens für ein weiteres. Oder sogar zwei. In dieser Zeit würde sie vermutlich auch endlich das Gehalt bekommen, das ihr schon so lange zusteht. Und sie würde offiziell mehr Verantwortung tragen. Vielleicht wird Signor Micolucci ihr sogar irgendwann die Teilhaberschaft anbieten.
Doch statt sich zu freuen, werden Victorias Augen immer trauriger. Sie kämpft mit den Tränen. «Signor Micolucci, vielen Dank für das Angebot», flüstert sie kaum hörbar. Dann beugt sie sich zu ihrer Tasche und kramt einen handgeschriebenen Zettel hervor. «Bitte verstehen Sie mich nicht falsch,
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