Dicke Hose (German Edition)
in der Farbgebung vermutlich ähnlich blau, wie es der Meister an der Häkelnadel gewesen sein muss.
Ich wühle tiefer im Kleidersack. Das zweite Teil ist immerhin schlicht. Und dunkelblau. Ein schlichter dunkelblauer Pullover, dessen seitliche Naht bereits gefährlich aufgeribbelt ist und der auch in heilem Zustand vermutlich nicht Frau Grünewalds erste Wahl für einen fernsehreifen Galaauftritt gewesen wäre. Als ich angewidert alles beiseitelege, entdecke ich unter der Häkeldecke noch einen dritten Stofffetzen: einen Badeanzug. Ebenfalls gehäkelt. Na super.
«Nie im Leben trage ich dieses … DING auf einer Gala!», ereifert sich die Grünewald weiter. «Schon gar nicht, wenn es von Missoni ist! Frau Wendt scheint ihre besten Tage hinter sich zu haben!»
«Aber …»
«Nichts aber! SIE sind der Sohn des Hauses, SIE wissen nur zu gut, wie schnell man auf dem roten Teppich zum Gespött der Leute wird. SIE müssen deshalb sofort bei Miucci anrufen und den Irrtum aufklären. Die sollen mir, so schnell es geht, das Cavalli-Kleid mit dem Kurier schicken. Natürlich kostenlos.»
Kurz befürchte ich, sie würde nun doch noch ihre Domina-Peitsche unter dem cremefarbenen Sofa hervorziehen und mir damit einen überbraten. Aber stattdessen kippt sie sich einen weiteren Whisky in den Hals und beginnt gleich darauf wie ein verhaltensgestörter Tiger durchs Vorzeigewohnzimmer zu kreisen.
Was den Whisky betrifft, würde ich es ihr gern gleichtun, allerdings läuft mein Herz bereits jetzt auf Hochtouren, und um meinen Kreislauf ist es ähnlich schlecht bestellt wie neulich im Boudoir mit Victoria.
Sollte ich mir jetzt auch noch das Hirn wegballern, fiele mir unter Garantie nichts mehr ein, um dieser vertrackten Situation zu entkommen. Momentan bin ich mir zumindest über eine Sache im Klaren: Wenn es etwas gibt, das ich unter Garantie nicht machen werde, dann ist es ein Anruf bei Miucci. Weil, und jetzt kommen wir zum unangenehmen Teil meiner Überlegungen, ich mir nicht sicher bin, ob ich nicht vielleicht einen klitzekleinen Fehler gemacht habe. Einen, der dummerweise fatale Folgen hat.
Könnte es tatsächlich der Fall sein, dass ich die beiden Kleidersäcke vertauscht habe? Ist das, was ich in den Händen halte, möglicherweise das Paket mit den fehlerhaften Kleidern, die für den Kurier und somit für Italien bestimmt waren? Und stattdessen befinden sich nun die Kleider der Grünewald auf dem Weg nach Bella Italia? Arrrgh! Das würde dann in letzter Konsequenz wohl bedeuten, dass ich aus einer Häkeldecke, einem defekten Pulli und einem Badeanzug ein Galaoutfit kreieren muss. Ist das zu fassen?
Carmen Grünewald zieht weiter ihre Kreise durch das Wohnzimmer. Nicht mehr lange, und sie greift selbst zum Hörer, um bei Victoria mit dem ach so guten Geschmack eine Lawine loszutreten. Mir muss etwas anderes einfallen. Zum Beispiel:
Wir fahren gemeinsam zu Miucci, wo Carmen Grünewald sich ein neues Partykleid aussuchen kann. (Scheidet aus, da bei Miucci vermutlich kein weiteres Cavalli-Kostüm in Desert Storm rumhängt. Somit hätte ich eine Stammkundin vergrault, und Victoria würde mich stante pede mit einem pinkfarbenen Säbel enthaupten.)
Ich lasse etwas von Miucci hierherkommen. (Wird ebenfalls nicht funktionieren, da ich auch bei dieser Variante meinen Fehler eingestehen müsste und meiner pinkfarbenen Enthauptung nichts entgegenzusetzen hätte.)
Ich schütte mir den restlichen Whisky in den Schlund, fliehe aus der Wohnung, aus der Stadt, aus diesem Land und lasse mich für den Rest meiner Tage in meinem grünen Lawrence-von-Sumatra-Anzug auf Key West von Schwulen aushalten. (Scheidet auch aus, da der Whisky bereits leer ist.)
Ich denke noch einmal über alles nach, verziehe mich dafür aber zur Sicherheit aufs Klo.
Wie aufs Stichwort klingelt im Hause Grünewald das Telefon. Während die Hausherrin ein unwirsches «Hallo?!» in den Hörer schnaubt, springe ich blitzschnell auf, werfe mir die gehäkelten Missgeburten über den Arm und laufe in den Flur. Wenn das Victoria ist, muss ich Zeit gewinnen. Also doch die Flucht nach vorn.
Ich schnappe mir noch schnell meine Tasche mit dem Notfallset und reiße die erstbeste Tür im Flur auf. Ich habe Glück, es ist das Badezimmer.
«Wie bitte?», höre ich die aufgebrachte Grünewald ins Telefon schreien, ehe ich die Badzimmertür hinter mir zuknalle und von innen verriegele. Sicher ist sicher. So wie ihre Stimme klingt, möchte ich mich weder am anderen Ende der
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