Dicke Hose (German Edition)
aufgefallen. Ihnen fehlt die Verkaufserfahrung. Aber keine Angst, so etwas kommt mit den Jahren. Bei Miucci waren Sie bislang vermutlich eher mit anderen Dingen beschäftigt, nicht wahr?» Sie lässt sich ächzend aufs Sofa plumpsen. «Ist sicher nicht ganz einfach, als Sohn des Hauses. Man muss immer einen Tick besser sein als die anderen.»
Ich starre sie entsetzt an. Sohn des Hauses? Woher zum Henker hat sie diese Information?
«Wissen Sie …» Meine Gastgeberein beugt sich verschwörerisch zu mir. «Kai hat mir natürlich berichtet, dass Sie der Sohn von Ernesto Micolucci sind. Darauf sollten wir anstoßen!» Sie sieht mich auffordernd an.
Zwar erschließt sich mir nicht zu hundert Prozent, was es bei diesem Thema zu feiern gibt, aber ich habe durchaus schon aus abwegigeren Gründen Alkohol getrunken. Zögernd erhebe ich mein Glas. Sogleich donnert die Grünewald ihr Glas lautstark gegen meins, nimmt einen Zug, den man eigentlich eher John Wayne zugetraut hätte, und schließt einen Moment genießerisch die Augen. Dann scheint ihr etwas einzufallen. Kurz befürchte ich, sie würde gleich von meinem Bruder Pippo in der Schweiz anfangen, doch stattdessen fragt sie: «Aber ich verstehe nicht ganz, wieso Sie einen anderen Namen tragen. Woher kommt denn der Held in Ihnen?»
Schnell nehme ich einen ebenso großen Schluck. Aber anders als bei Carmen Wayne treten mir augenblicklich die Tränen in die Augen.
Hüstelnd sage ich: «Ein … Doppelname. Wegen … äh, meiner Mutter. Ist aber ganz praktisch, man will ja schließlich nicht immer und überall erkannt werden.»
«Ach, da haben Sie natürlich recht.» Carmen Grünewald nickt bekräftigend. «Unter diesen Umständen verstehe ich auch, dass Sie zunächst Wichtigeres im Laden zu tun hatten, als im Verkauf Erfahrungen zu sammeln. Außerdem: Wenn man so erstklassige Mitarbeiter eingestellt hat wie Sie …» Schwärmerisch verdreht sie die Augen. «… dann braucht man sich nun wirklich keine Sorgen zu machen. Gerade auf Frau Wendt und ihr modisches Gespür kann man sich hundertprozentig verlassen. Nicht umsonst schafft sie es immer wieder, mir ein kleines Vermögen abzuluchsen.»
«Hmm», mache ich, weil mir nichts Besseres dazu einfällt. Ich meine, hat sie mich mal angesehen? Mein Anzug ist ja wohl nicht gerade ein Aushängeschild für Victorias guten Geschmack.
«Also, dann wollen wir doch mal einen Blick auf die guten Stücke werfen.» Von Vorfreude angeheizt, beugt sie sich über den Tisch und zieht den Kleidersack zu sich auf das Sofa. Mit ihren wurstigen Fingern öffnet sie den Reißverschluss.
Die Schutzhülle ist noch nicht zur Hälfte entfernt, da gellt bereits ein spitzer Schrei durch das blütenweiße Wohnzimmer. «Oh mein Gott!», quietscht die Kristallpäpstin, und ich nehme schnell noch einen Schluck, ehe mein Glas zerspringt. «Das … ist … das ist nicht Cavalli! Das ist Missoni!» Kraftlos lässt sie die Hände in den Schoß sinken. Es folgt ein weiterer Schrei, dann bockiges Füßescharren. «Das kann ich nicht anziehen. Über Missoni stand kein Wort in der Madame . Frau Wendt hätte das wissen müssen.»
Alter Falter, was soll man nun dazu sagen? Missionar, Kavalier – was macht das für einen Unterschied?
«Ich hatte ausdrücklich um ein En-vogue-Kleid von Cavalli gebeten!» La Grünewald ist außer sich. «Frau Wendt sagte außerdem, die Farben der Saison wären Amber-Litschi und Desert Rose. Passend dazu habe ich mir schließlich auch die Nägel maniküren lassen. Aber dies hier …» Ein braun lackierter Fingernagel hämmert auf den Kleiderbügel ein. «… ist blau!»
Ohne den Hauch einer Idee, wie die verfahrene Situation zu retten ist, ziehe ich den Kleidersack zu mir heran. Die Info, dass Blau das neue Schwarz ist, würde sie in dieser Situation vermutlich kaum trösten.
Mit wachsender Verunsicherung begutachte ich das ungeliebte Teil. «Also, extravagant sieht mir das hier schon aus», versuche ich die Lage ein wenig zu entschärfen. «Extravagant und –»
… todhässlich.
«Aber das ist nicht Cavalli», heult Carmen Grünewald. «Das ist … das ist … was soll das überhaupt sein?»
Ja, das frage ich mich auch und hole das Kleid aus dem Sack. Ich hätte spontan auf ein gehäkeltes Partyzelt getippt. Entstanden im Zuge der Gruppentherapie «Betrunkene häkeln für Betrunkene». Das Zelt hat keinen erkennbaren Schnitt, dafür aber ein bemerkenswertes Zickzackmuster. Es verläuft in Schlangenlinien und ist
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