Dicke Moepse
mich, wie man ohne Mobilfunktelefon in den Urlaub fahren kann. Was ist, wenn etwas passiert und keiner weiß, wo die beiden stecken? Was ist, wenn das nächste Lebenszeichen der beiden ein Schwarzweißvideo mit hochgehaltener Tageszeitung ist? Ich bin wirklich keine Frühaufsteherin.
»Mel, schon gut! Ich muss jetzt los. Eric wartet«, unterbreche ich Mel etwas rüde, die mir gerade ihren neuesten Kollegentratsch erzählen möchte. Das kann ich momentan nicht ertragen.
»Eric? Ist das ein Neuer? Ich muss euch sowieso mal besuchen, ich bin ja auch so eine Tierfreundin!«
»DU?« Du bist doch allerhöchstens gut zu Vögeln! Aber das verkneife ich mir gerade noch.
»Ja, natürlich! Ich hatte sogar eine kleine Feldmaus als Haustier, als ich noch ein kleines Mädchen war!«, entgegnet mir Mel vergnügt.
»Na, dann bist du ja bestens auf den Zoo vorbereitet. Übrigens ist Eric knapp fünf Meter groß und braucht meine volle Aufmerksamkeit!« Ohne die Entgegnung abzuwarten, schnappe ich mir meine Jacke und düse zu meinem Giraffenbullen, der mich schon sehnsüchtig erwartet. Wenigstens ein männliches Wesen, das meine Anwesenheit erfreut! Übermütig kommt er angetrabt, und mir wird ganz warm ums Herz. Die Freude eines Tieres mitzubekommen ist für mich einfach das Schönste auf der ganzen Welt. Da sind die versauten Dates der letzten Wochen schnell vergessen. Selbst der Ärger über Andreas verpufft, als Eric mir mit weichen Lippen die Mohrrüben aus der Hand klaubt.
»Weißt du eigentlich, dass du bald Papa wirst?«
Eric schaut mich mit seinen großen klugen Augen an und angelt sich mit seiner langen blauen Zunge eine weitere Karotte. Ich bin mir fast sicher, dass er es weiß. Vielleicht ist er aber auch froh, dass er meine Aufmerksamkeit im Stall nicht mehr teilen muss.
Lucinda wurde nämlich vor ein paar Tagen aus seinem Gehege in ein anderes verlegt, damit alles für die Geburt vorbereitet werden kann. Zwar soll es erst in zwei Wochen losgehen, aber beim Kinderkriegen kann man sich, genau wie beim Menschen, nie auf den errechneten Termin verlassen. Eric schnaubt mir durch seine weichen Nüstern vorsichtig über die Schulter.
»Noch mehr Karotten? Oder lieber ’ne Banane?« Ich halte ihm beides hin. Eric beugt sich zu mir hinunter und wirft mir durch seine langen Wimpern einen liebevollen Blick zu, bevor er sich für die süße Variante entscheidet.
»Ich würde alles drum geben, bei der Geburt dabei zu sein. Das muss der absolute Wahnsinn sein!«, erzähle ich Eric. Seit Andreas Chef im Willbert-Zoo ist, hat man mir nach und nach sämtliche Pflichten als ärztliche Assistentin entzogen. Zwar darf ich immer noch dabei sein, wenn Dr. Nachtnebel vor Ort ist, aber selbständige Handlungen wie das Abhören der Herztöne sind allein Stefan vorbehalten. Stefan hat jetzt sogar die komplette Aufsicht über Lucinda zugeteilt bekommen, darf ihre körperlichen Veränderungen dokumentieren und sie mit Dr. Nachtnebel abstimmen. Aus versicherungstechnischen Gründen, hat Andreas argumentiert. Blöde Ausrede. Dabei hat Stefan sich auf der Uni allerhöchstens mit dem Paarungsverhalten der Bonobo-Äffchen beschäftigt. Das ist die Sorte Affen, die in Konfliktsituationen anfangen, miteinander zu poppen. Als er Andreas das erzählte, ist der schier ausgeflippt vor lauter Lachen. »Das Leben könnte so einfach sein!«, haben sich die beiden zwischen den Lachsalven immer wieder zugerufen. Stefans Stein in Andreas’ Brett sitzt seitdem tief und fest. Die zwei Männer gehen sogar regelmäßig zusammen Bier trinken und Fußball gucken. Sie haben mich kein einziges Mal gebeten mitzukommen. Klar, dann müssten sie ja auch auf ihre sexistischen Witzchen verzichten. Ob der rege Austausch mit Typen wie Andreas Stefan bei seinem mäßigen Fachwissen weiterhilft, bezweifle ich allerdings ernsthaft. Ich tätschele Erics langen Hals und schmiege mich an ihn. Zum Dank knabbert Eric an meinem Overall und schnuppert an meinen Haaren. Dann käut er wieder friedlich wieder. Kaugeräusche sind die einzigen Laute, die Giraffen von sich geben, ansonsten sind sie ziemlich leise und verständigen sich über Infraschall. Der ist kilometerweit zu vernehmen, aber nur für andere Giraffen. Wir Menschen hören ihn nicht. Ob sich Eric mit Lucinda auch über Infraschall unterhält, um nach der Bauchlage zu fragen?
»Du bist sicher auch traurig, dass du nicht bei deiner Frau sein darfst! Und ich muss auch schon wieder los, Kleiner! Mach’s gut, bis
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