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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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mit dem Taktstock aufs Pult, Grabesstille - und der Beginn des ersten Satzes von Beethovens zehnter Symphonie.
    W ährend die Musik sich entfaltete, machte Daniel sich in einem kleinen Heft Notizen, und er hörte einige Passagen an die zehn Mal, um sich seiner Einschätzungen vollkommen sicher zu sein. Als er fertig war, sah er sich durch die konkreten musikalischen Daten bereits imstande zu beweisen, dass die Partitur nur von Beethoven komponiert sein konnte. Obwohl es schon recht spät war, rief er sofort Richterin Rodriguez Lanchas auf dem Handy an - die Nummer hatte sie ihm gegeben - und überbrachte ihr die gute Nachricht:
    »Ich habe nun die Generalprobe des Konzertes mehrere Male angehört und kann zweifelsfrei bestätigen, dass die Partitur von Beethoven ist. Sie kann nicht von Thomas komponiert worden sein.«
    »Das ist ja großartig, Daniel. Dann brauchte ich jetzt ein Sachverständigengutachten mit deinen Schlussfolgerungen.«
    »Ich habe keine Ahnung, wie man so etwas macht.« »Du schreibst auf ein Blatt die vorausgegangenen Umstände ...«
    »Was soll das heißen?«
    »Du musst beschreiben, wie du an das Beweisstück gelangt bist, das du analysiert hast. Etwa vier Zeilen, keinen Roman. Dann machst du einen neuen Absatz mit den Beobachtungen.«
    »Und was soll darin stehen?«
    »Du beschreibst, was du mit dem Beweisstück gemacht hast, in dem Fall also mit der Aufnahme.« »Aber ich habe sie doch einfach nur zehnmal hintereinander gehört.«
    Die Richterin verdrehte die Augen. »Dann formulierst du das eben so: dass du nach mehrmaligem Hören dieses und jenes herausgefunden hast. Und an den Schluss kommen die Ergebnisse und deine Schlussfolgerungen. Wenn du noch weitere Bemerkungen zu machen hast, setzt du sie in einem zusätzlichen Abschnitt ans Ende des Gutachtens. Dann musst du es noch unterschreiben. Aber erklär mir bitte jetzt schon mal, wieso du meinst, dass nur Beethoven der Komponist sein kann.«
    »Oh, da gibt es so viele einzelne Anzeichen. Weißt du, was Modulationen sind?« »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.« »Bist du schon mal in der Oper gewesen?« »Ja, irgendwann einmal. Wieso?«
    »Du hast sicherlich bemerkt, dass die Sänger in der Oper ab und zu ein paar sehr schöne Lieder singen ...« »Ja, Arien. So viel weiß ich auch.«
    »Genau. Und manchmal sprechen sie gewissermaßen singend - das sind die sogenannten Rezitative. Das sind Passagen in der Musik, in deren Verlauf etwas geschieht. Die Arien drücken dagegen statisch einen Seelenzustand aus, zum Beispiel Traurigkeit: Che faro senza Euridice.« »Diese Arie kenne ich.«
    »Nun, und in der Instrumentalmusik sind die Themen einer Symphonie das Äquivalent zu den Arien. Die Themen sind es, die man pfeift, wenn man aus dem Konzert kommt. Doch dann gibt es auch hier Passagen, die nicht singbar sind und während deren sich Dinge ereignen, wie bei den Rezitativen. Diese Passagen nennt man Modulationen, sie treiben die musikalische Handlung voran.« »Was soll denn eine musikalische Handlung sein - das verstehe ich nicht so recht.«
    »Da die Musik eine abstrakte Sprache ist, besteht die Handlung im Übergang von einer Tonart in die nächste. Im Drama wäre das zum Beispiel der Wechsel von einer Szene, in der die Tochter kurz vor der Hochzeit steht, zu der, die das von ihrem Verlobten verlassene Mädchen zeigt.« »Verstehe.«
    »Was Thomas zur Verfügung hatte, waren, um beim Opernbeispiel zu bleiben, die Arien, also die Melodien der Symphonie - in einem sehr frühen Stadium zwar, aber das ist nicht so wichtig. Doch dann braucht das Ganze einen dramatischen Aufbau, und auch wenn Beethoven eing ängige Melodien komponiert hat, ist er nicht ihretwegen in die Geschichte eingegangen. Sein größtes Talent lag darin, ausgehend von einem winzigen Baustein, einem Motiv, wahre Klangkathedralen zu bilden.« »So etwas wie die berühmten ersten vier Noten der fünften Symphonie?«
    »Ja, so etwas meine ich. Und die Art und Weise, wie das motivische Material im ersten Satz entwickelt wurde, ist das Werk eines Genies. Ich schreibe das Gutachten jetzt gleich. Morgen früh bringe ich es dir dann ins Gericht.« Als Daniel gerade auflegen wollte, fiel ihm Alicias Theorie ein, dass die Zahlen geographische Koordinaten sein könnten, und er erzählte der Richterin davon. »Soll ich das auch in den Bericht schreiben?« »Nein, das sind zwei verschiedene Dinge. Aber ein interessanter Anhaltspunkt allemal. Ich rufe Mateos an und informiere ihn darüber -

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