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Die 10. Symphonie

Die 10. Symphonie

Titel: Die 10. Symphonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Gelinek
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nicht ohne ihm die Hölle heißzumachen. Ich finde es unglaublich, dass eine einzelne Frau von Grenoble aus mehr herausbekommt als alle Kriminaltechniker zusammen.«
    »Du kennst eben meine Freundin nicht«, sagte Daniel. »Und manchmal glaube ich, ich auch nicht.«
    Als Daniel das Gutachten f ür die Richterin geschrieben hatte, war es nach drei Uhr. Er fühlte sich völlig erschöpft, denn während der Ausarbeitung des Berichts hatte er das musikalische Fragment noch ein halbes Dutzend Mal gehört. Doch er war zufrieden. Folgendes würde die Richterin zu lesen bekommen:
    Vorausgegangene Umst ände
    Im Zusammenhang mit dem Mord an dem britischen Staatsb ürger Ronald Thomas erbittet die das Ermittlungsverfahren leitende Richterin, Dona Susana Rodriguez Lanchas, die Analyse einer Aufnahme mit der gesamten Generalprobe des ersten Satzes von Beethovens zehnter Symphonie. Ich habe die Aufnahme von Sophie Luciani, Tochter des Verstorbenen, erhalten. Sie hat sie zum privaten Gebrauch mit einem MP3 Player aufgezeichnet. Es handelt sich um eine auf CD gebrannte exakte Kopie des digitalen Originals, zurzeit im Besitz von Señorita Luciani. Ziel der Analyse ist es, die Urheberschaft des Stücks auf der CD festzustellen. Zunächst wird davon ausgegangen, dass Thomas und Beethoven sich diese teilen.
    Beobachtungen
    Nach wiederholtem H ören des musikalischen Fragments lassen sich folgende stilistische und kompositorische Elemente festhalten, die charakteristisch sind für eine ausgereifte Beethovensche Technik:
    1) In der Einleitung, die dem anfänglichen Andante vorangeht, findet sich eine abrupte Modulation, wie sie typisch ist für Beethovens eruptiven Stil: Er erreicht die neue Tonart über einen verminderten Septakkord, in welchem einer der Töne - der Grundton - enharmonisch verwechselt wird (als ob er die Septime eines anderen verminderten Akkords wäre) und auf diese Weise in einer anderen Tonart aufgelöst werden kann.
    2) Die Überleitung vom ersten zum zweiten Thema im zentralen Allegro wird durch eine phantasievolle Melodie mit Motiven des Themas in der Tonika und in der parallelen Durtonart gestaltet. Diese einfallsreiche Verwendung des kompositorischen Ausgangsmaterials ist typisch f ür Beethoven und wird über den ganzen Satz hinweg mittels Umkehrungen, Verminderungen und Erweiterungen der Ursprungsmelodien fortgeführt, die immer wieder in veränderter Form auftreten.
    3) Das zweite Thema des Allegros, das den Regeln der Sonatenhauptsatzform entsprechend in der parallelen Durtonart der Tonika, also in Es-Dur, stehen m üsste, erklingt jedoch in f-Moll - dies allerdings nur bei seinem ersten Erscheinen in den Violinen. Wenn sich das Thema in den Bläsern wiederholt, geschieht das in der korrekten Tonart, in Es-Dur. Beethoven mochte solche tonalen Überraschungen, denn er liebte es, sein meist gebildetes Publikum zu verwirren. Das Publikum zu jener Zeit war bestens vertraut mit der Sonatenhauptsatzform und mit den musikalischen Konventionen. Es erwartete an dieser Stelle das Thema in der parallelen Durtonart, und nur deswegen konnte die Tonart f-Moll hier Aufsehen erregen. Indem er das zweite Thema in der richtigen Tonart wiederholt, teilt Beethoven seinen Anhängern mit: Ich weiß, was ihr erwartet habt - hier ist es. Doch vorher verwirrt er sie. Das ist ein subtiles psychologisches Spiel mit der Musik: Zunächst enttäuscht der Komponist die Erwartungen der Zuhörer und erfüllt sie dann, wenn sie schon nicht mehr bestehen. Das kann, nach Ansicht des Sachverständigen, nur ein äußerst raffinierter musikalischer Geist hervorbringen.
    4) In der Kadenz, mit der die Exposition des besagten Allegros abschlie ßt, findet sich eine der kraftvollen Beethovenschen Hemiolen. Hemiolen sind rhythmische Muster, bei denen sich die Betonungen in zwei Takten so verschieben, dass 1,2,3 - 1,2,3 zu 1,2 – 1,2 wird. Das bedeutet, dass der Komponist - wiederum in einer genialen Zurschaustellung seines Talents -beim Zuhörer den Eindruck erweckt, dass er den Takt ändern würde, ohne es jedoch tatsächlich zu tun.
    5) Eine ausführliche Coda bildet den Schluss des Allegros in c-Moll. Dies ist ebenfalls typisch für Beethoven. Für andere Komponisten der Klassik wie Haydn oder Mozart war die Coda nur ein dekoratives Element, das dem Allegro der Sonate ein deutlicher abschließend wirkendes Finale verschaffte. Doch hier haben wir es mit einer langen, 2 1/2-minütigen Coda zu tun, in welcher der Komponist weiterhin das Material

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