Die 10. Symphonie
umformt, das er schon in der Durchführung des besagten Allegros verwendet hat. Das bezeugt einen Überfluss an Ideen, den man lediglich einem wahren Titanen der Kompositionskunst zutrauen kann.
6) Was die Instrumentierung angeht, erscheint staunenswert, wie der Komponist den Einsatz bestimmter Instrumente - wie Piccoloflöte und Posaune - bis zum letzten Teil des Satzes hinauszögert, um ihn dann als Überraschungsmoment zu gestalten.
Auswertung
Die Autorschaft Ludwig van Beethovens bez üglich des thematischen Materials dieses ersten Satzes stand von vornherein nicht in Frage, da die Themen (d. i. die wichtigsten Melodien) denen gleichen, die sich in verschiedenen Kompositionsheften in Berlin, Bonn und Wien finden lassen.
Was hier gekl ärt werden sollte, war die Frage, ob der Rest des Stücks - wozu die Entwicklung des motivischen Materials und, in vielen Fällen, die Orchestrierung und Harmonisierung des ganzen Satzes gehört - das Werk des Opfers, Ronald Thomas, sein kann, oder ob die für die Vollendung verwendeten Mittel im Gegenteil nicht dessen begrenzte technische Kapazitäten übersteigen. Die Analyse der Aufnahme, die ich zur Verfügung hatte und die ich diesem Sachverständigengutachten beifügen werde, bestätigt, dass es sich um Musik handelt, die vollständig von Beethoven entwickelt, orchestriert und harmonisiert wurde, so dass die Möglichkeit, Señor Thomas könne Koautor der Partitur sein, gänzlich auszuschließen ist.
Bemerkung
Da die Analyse der Probenaufnahme gezeigt hat, dass es sich um den authentischen ersten Satz von Beethovens zehnter Symphonie handelt - in der Form, in der sie vom Komponisten entworfen wurde -, liegt der Gedanke nahe, dass die übrigen Sätze (vermutlich vier, auch wenn das nicht zweifelsfrei nachzuweisen ist) sich ebenfalls im Besitz von Señor Thomas befanden. Es ist daher nicht auszuschließen, dass das Tatmotiv die Entwendung der Partitur war, deren Preis in die Millionen Euro gehen kann - vor allem, wenn es sich um eine handschriftliche Fassung handelt.
46
Daniel brachte das Sachverst ändigengutachten und eine Kopie der CD ins Gericht und wurde dann in Duráns Büro vorstellig. Dessen Sekretärin Bianca hatte ihm mitgeteilt, der Chef wolle ihn sprechen. Durch die geschlossene Bürotür drangen ohrenbetäubend die Anfangsakkorde des Klavierkonzerts Nr. 1 von Tschaikowsky.
»Er dirigiert«, erklärte Bianca. Ihr leicht spöttischer Unterton war nicht zu überhören. »Aber du kannst hineingehen.«
Daniel öffnete die Tür. Sein Chef war vollkommen versunken in die Musik und stand in Hemdsärmeln - zum ersten Mal sah ihn Daniel ohne Jacke - wild gestikulierend auf dem Besuchersofa. Die Schuhe hatte er immerhin vorher ausgezogen. Daniels Eintreten störte ihn nicht im Geringsten, er spielte weiterhin mit ganzem Herzen und vollem Körpereinsatz seine Pantomime - bis Daniel die Lautstärke der Anlage auf ein annehmbares Maß heruntergedreht hatte.
»Die Bläser bleiben hinter den Streichern zurück«, sagte Daniel streng, genau wie sein Professor am Konservatorium. »Du musst mehr auf das Gleichgewicht im Orchester achten.« »Ich muss mir wirklich einen Taktstock kaufen«, antwor tete Durán . »Ohne Taktstock nehmen einen die Musiker nicht ernst.«
»Du bekommst einen von mir, keine Sorge. Auch wenn es nicht vom Taktstock abhängt, ob man gut oder schlecht dirigiert. Dieser Dirigent zum Beispiel, Valery Gergiev« - Daniel nahm die CD-Hülle des Tschaikowsky-Konzerts -, »dirigiert ohne Taktstock, und er hat das St. Petersburger Orchester zu einem der weitbesten gemacht.« »Sag, was du willst, aber ich bleibe dabei: Ein Taktstock ist unverzichtbar. Und sei es nur, weil er dir bei einem Crescendo plötzlich aus der Hand fliegen und jemandem das Auge ausstechen könnte. Das wissen die Musiker, und da keiner erblinden will, sind sie die ganze Zeit hochkonzentriert, schauen dich unentwegt an, und keine deiner Anweisungen entgeht ihnen. Komm, hilf mir mal.« Daniel half ihm vom Sofa herunter - Durán wäre noch imstande gewesen, sich in seinem Eifer das Bein zu brechen.
»Du wolltest mich sprechen?« »Ja. Setz dich.« »Willst du mir kündigen?« »Kündigen? Nein. Willst du aufhören?« »Auch nicht. Obwohl es nicht schlecht wäre, wenn du mir ein bisschen mehr bezahlen würdest.« »Geld, Geld. Du bist nicht hier wegen des Geldes, sondern weil du Musik magst und gerne unterrichtest. Was ist los? Brauchst du Geld?«
»Ja, als Anerkennung für meine Leistung.
Weitere Kostenlose Bücher