Die 101 Wichtigsten Fragen - Bundesrepublik Deutschland
war. Dass die Deutschen nach 1945 auf der Suche nach Sicherheit waren und das Risiko mieden, ist verständlich und hängt vor allem mit ihrer Katastrophengeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammen. «Sicherheit» stieg zu einem der Schlüsselbegriffe bundesdeutscher Geschichte auf, und im Zentrum sozialpolitischer Sicherheit stand dabei immer die Rente. Für viele Deutsche stellte deshalb die Rentenreform von 1957 die wichtigste sozialpolitische Errungenschaft dar. Dieser Eindruck ist nicht falsch, aber es wurden Fehler in das System eingebaut, die nur noch schwer zu korrigieren waren. Die beiden Kerne dieser Jahrhundertreform waren die dynamische Rente und das Generationenprinzip. «Dynamisch» hieß, dass die Renten in gewissen Abständen den Löhnen und Gehältern angepasst wurden; damit sollten die Rentner am Wirtschaftswachstum teilhaben. Das Prinzip der Generationensolidarität bedeutete: die arbeitende Generation erbringt aus ihren aktuellen Beiträgen zur Rentenversicherung die Leistungen für die nicht mehr arbeitende Generation. So revolutionär dieses System in Zeiten des Wirtschaftsbooms war, es konnte auch zur Belastung werden. Was würde geschehen, wenn es zur Massenarbeitslosigkeit kam, wenn es zu wenige Beitragszahler gab? Außerdem benachteiligte dieses System, das auf die Erwerbsarbeit zugeschnitten war, die häusliche Arbeit, etwa bei der Kindererziehung, die nicht «vergütet» wurde.
Zum Bundestagswahlkampf 1972 lieferten sich die beiden großen Volksparteien CDU/CSU und SPD noch einen Überbietungsstreit: Wer versprach den Rentnern am meisten? Damit war es in der Folgezeit zu Ende. Nach der Weltwirtschaftskrise seit 1974 wurde 1977 die Rentenformel zum ersten Mal geändert, und für die jährlichen Erhöhungen legte man nicht mehr das Bruttoeinkommen zugrunde, sondern das Nettoeinkommen. Seither ist immer ein wenig neu justiert worden, um den Eindruck aufrechtzuerhalten, dass die Rente sicher sei. Erst die «Agenda 2010» der rot-grünen Regierung, die tiefen Einschnitte in das Sozialsystem, die notwendige Eigenvorsorge («Riester-Rente») sowie die eingeführte «Rente mit 67», machten deutlich, dass kecke Wahlkampfsprüche allein nicht ausreichen. Denn mag im Leben auch vieles sicher sein, die Rente ist es nicht.
97. Warum waren die Deutschen stolz auf die D-Mark? Um dies besser verstehen zu können, muss man etwas weiter ausholen. Die galoppierende Inflation nach dem Ersten Weltkrieg, die in den 1920er Jahren in eine Hyperinflation überging und zum Verlust von riesigen Geldwerten führte, wirkte wie ein Trauma auf die Deutschen. Dass es nach dem «Dritten Reich», das eine Wirtschaft auf Pump betrieben hatte, und dem Zweiten Weltkrieg ähnlich würde, davon musste man ausgehen. Doch es kam anders. In der Währungsreform von 1948 sahen die meisten Deutschen die eigentliche Gründung der Bundesrepublik. Im Zuge des Wirtschaftswunders in den 1950er und 1960er Jahren gewann die Deutsche Mark rasch an Bedeutung und wurde nach dem Dollar eine internationale Anlage- und Ankerwährung. Sie stand für deutsche Wertarbeit und diese fußte auf den Leistungen der Menschen, woraus sich der Stolz nährte. Als Hüterin der Währung agierte die Bundesbank; sie setzte auf eine fast absolute Preisstabilität und mied die Inflation wie der Teufel das Weihwasser. Ausländische Beobachter belächelten oder kritisierten dies oft und spotteten über den «Bundesbunker».
Die Deutschen lebten in einer gespaltenen Nation. Und infolge des Missbrauchs von Fahnen, Hymnen und anderen traditionellen nationalen Symbolen durch die Nazis schien ein Nationalgefühl extrem vorbelastet. Vielen galt daher die Deutsche Mark als die Quelle von nationaler Identität. Dies verächtlich «DM-Nationalismus» zu nennen, wie es einige Intellektuelle zu tun pflegten, erscheint vor dem Hintergrund der Erfahrungsgeschichte der Deutschen ziemlichhochnäsig. Mit dem Fortschreiten der europäischen Einigung verlor die D-Mark an Bedeutung, und 1999 trat die im Maastrichter Vertrag beschlossene dritte Stufe der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion in Kraft – die nationalen Währungen wurden durch den Euro ersetzt. Nach einer dreijährigen Übergangszeit, in der der Euro nur als Buchgeld existierte, löste er am 1. Januar 2002 die D-Mark ab, die seither Geschichte ist. Doch bis heute, so haben Meinungsforscher herausgefunden, gibt es eine Art «D-Mark-Nostalgie», gerade in der älteren Generation, die
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