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Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur

Titel: Die 101 wichtigsten Fragen: Deutsche Literatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Jahraus
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resignativ bzw. fatalistisch beurteilt. Diese Auffassung hatte er schon zuvor in seinem berühmten «Fatalismus-Brief» an seine Verlobte Wilhelmine Jaeglé (1810–1880) dargelegt. Büchner sieht den Menschen als
«Subjectum»
der Geschichte; er ist der Geschichte unterworfen. Ging es in den Geschichtsdramen zum Beispiel eines Schiller darum, zu zeigen, wie der Mensch sich in der Geschichte als Subjekt behaupten kann, so gehtes Büchner darum, aufzuzeigen, wie der Mensch Teil eines Prozesses wird, den er selbst nicht mehr kontrollieren kann.
    Aber unsere Frage lenkt unseren Blick auf einen anderen Text, auf seine Erzählung
Lenz
. Mit diesem Titelnamen ist eine historische Person gemeint, der als Sturm-und-Drang-Autor bekannt gewordene Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792) (siehe Frage 48). Büchner erzählt von einer psychischen Erkrankung von Lenz, und auch dieses Sujet geht auf einen authentischen Bericht zurück. Lenz begibt sich im Januar 1778 zu dem Pfarrer Oberlin in den Vogesen, um bei ihm seelische Entlastung und Gesundung zu finden. Oberlin verfasst über die Zeit mit Lenz einen Bericht, den wiederum Büchner verwendet. Fast die Hälfte seines Textes stammt aus jenem Bericht. Oberlin hat eine beruhigende Wirkung auf Lenz, Lenz kommt zu innerer Ruhe, er kann sich ein Stück weit von seinen Problemen befreien und dem Druck, der nicht zuletzt von einer übermächtigen Vaterfigur herrührt, entgehen. Als der Schweizer Genieapostel Christoph Kaufmann zu Besuch kommt, entspinnt sich ein Gespräch über Kunst und Literatur, in dem Lenz noch einmal die überkommenen idealistischen Prinzipien wiederholt. Als Kaufmann ihn auffordert, sich seinem Vater zu stellen und sich mit seiner bürgerlichen Existenz auseinanderzusetzen, ist Lenz überfordert. Er glaubt sogar, ein totes Mädchen wieder zum Leben erwecken zu können, was eine dramatische Verschlechterung seines psychischen Gesundheitszustandes bedeutet. Sein Zustand verbessert sich nicht mehr. Am Ende gesteht er einen Mord, den es nur in seinen Wahnvorstellungen gibt, und begeht einen Selbstmordversuch, so dass Oberlin ihn wegschicken muss.
    Büchner greift am Ende der Goethezeit auf einen Autor für die Titelfigur seiner Novelle zurück, der am Beginn der Goethezeit im Sturm und Drang geschrieben und der diese Epoche mit seinen Dramen und Überlegungen als Mitglied einer jungen Bewegung von Schriftstellern mitbegründet hat. Was am Anfang dieser Epoche als eine literarische Neubegründung des Subjekts erscheint, erscheint an ihrem Ende als psychopathologischer Fall. Die Parameter haben sich grundlegend geändert. Das Subjekt ist zum Fall, zum Gegenstand einer Fallgeschichte geworden, der Idealismus hat sich in Pathographie verwandelt, die Goethezeit ist an ein Ende gekommen.
    66. Warum kann Heinrich Heine nicht schlafen? Das 24. Gedicht mit dem romantisch anmutenden Titel
Nachtgedanken
aus dem Zyklus
Zeitgedichte
, der wiederum im Rahmen der
Neuen Gedichte
1844 erschienen ist, beginnt mit zwei berühmten Versen, die sprichwortartig geworden sind und die selbst den Titel für viele andere Texte abgegeben haben:
    Denk ich an Deutschland in der Nacht,
    Dann bin ich um den Schlaf gebracht
    Wo sie in einem ernsthafteren Kontext zitiert werden, stehen sie für etwas, was man das Leiden des Intellektuellen an Deutschland nennen könnte. Wenn man jedoch bei Heinrich Heine (1797–1856) selbst das Gedicht nachliest, so schildert es eine Situation, die von starkem Heimweh geprägt ist. Das lyrische Ich, das sich in Frankreich befindet, sehnt sich vor allem nach seiner Mutter und den Freunden in Deutschland zurück, die es zwölf Jahre lang nicht gesehen hat. Deutschland wird als Heimat gesehen, und diese alte Heimat ist vor allem ein Mutterland. Die neue Heimat wird durch eine Ehe repräsentiert und hat damit doch auch eine erotische Komponente. Gleichzeitig wird so Deutschland zum Land der Herkunft, aber auch der Vergangenheit, während Frankreich mit dem Morgen und auf diese Weise mit Gegenwart oder gar Zukunft verbunden wird.
    Heine hat einen weiteren, sehr berühmten Text geschrieben, der Deutschland ganz prominent im Titel führt:
Deutschland. Ein Wintermärchen
. Dabei handelt es sich um ein Versepos, das auf satirische Weise eine Reise nach Deutschland wiedergibt. Diese Reise hatte Heine tatsächlich 1843 unternommen. Er lebte, da er auf dem Gebiet Deutschlands weder beruflich noch schriftstellerisch tätig sein konnte, seine Schriften verboten waren und er

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