Die 101 wichtigsten Fragen - die Bibel
gegeißelt, einmal sogar gesteinigt, eine Maßnahme, die er – fast ein Wunder – überlebte (2 Korinther 11,24).
In der frühen Kirche gab es zunächst wenig Anlass, ein religiöses Strafrecht zu entwickeln. Für Gemeinden, deren Mitglieder aus dem Judentum kamen (und nicht aus dem Heidentum), belegt jedoch bereits das Neue Testament Ansätze zu einem Strafwesen. Nach dem Matthäus-Evangelium soll Jesus selbst die öffentliche Zurechtweisungvon Sündern in der Gemeindeversammlung angeordnet haben; dabei bleibt allerdings unklar, an welche Art von Sünde gedacht ist (Matthäus 18,15–17). Um kirchliche Disziplin einzuschärfen, erzählt die Apostelgeschichte von einem Ehepaar, das tot umfällt, als es Petrus in einer Geldsache belügt (Apostelgeschichte 5,1–11). Unter der Maske heiliger Ordnung wird Schrecken verbreitet. Inquisition und kirchliche Zensur haben hier ihren Ursprung. Auch heute verlangen religiöse Gemeinschaften von ihren Mitgliedern Wohlverhalten und Konformität; wer den Anforderungen nicht genügt, kann bestraft werden. Bis heute sind die Kirchen damit beschäftigt, ihr Strafrecht zu überprüfen – oder ganz auf ein solches zu verzichten.
82. Kennt die Bibel ein Leben nach dem Tod? Die Frage, ob das Leben eines Menschen nach dem Tod weitergeht, wird in der Bibel unterschiedlich beantwortet: Gewöhnliche Leute, Priester und jene Gebildeten, die sich der Philosophie verpflichtet wussten, hatten jeweils besondere Vorstellungen.
Der Glaube der gewöhnlichen Leute ist vor allem im Alten Testament gut zu erkennen. Wer stirbt, so wird hier angenommen, kommt an einen unterirdischen Ort, ein Dorf oder eine Stadt im Kellergeschoss des Weltgebäudes. Dort wird der Tote bekannte Gestalten, Reiche und Arme, und vor allem seine eigenen Vorfahren sehen. Daher die häufige Wendung «er verschied und wurde mit seinen Vorfahren (oder Vätern) vereint» (so die Notiz über Jakobs Tod, Genesis 49,33). Das Totenreich – hebräisch: die Scheol, griechisch: der Hades – wird als finsterer, unwirtlicher Ort geschildert. Nur ein einziges Mal schlägt ein biblischer Autor einen anderen Ton an: Wenn der stets hungrige Bettler Lazarus stirbt, wird er in den Hades gebracht; dort wartet Abraham auf ihn, um ihn mit Speise und Trank zu versorgen (Lukas 16,19–31).
Der Glaube der Priester weicht vom Laienglauben schon durch den Ort ab, der auf den Verstorbenen wartet. Auf den Priester wartet nicht das unterirdische Totenreich, sondern der Himmel – ein Ort im oberen Stockwerk des Weltgebäudes, wo Gott seine Residenz hat. Die Lehre von der Aufnahme in den Himmel war zuerst wohl die Geheimlehre der Leviten, einer bestimmten Gruppe von Kultdienern (noch erkennbar in mehreren Psalmen, etwa 16,49 und 73). Im 1. Jahrhundert hat man offen darüber gesprochen. Alle Frommen – besonders die Christusgläubigen – nahmen diese Lehre an und hofftenauf eine Aufnahme in den Himmel. Mehrfach drückt sich der Himmelsglaube in Legenden und Visionsberichten aus: Das Grab des Mose ist nicht aufzufinden. Elija soll lebend von einem feurigen Wagen in den Himmel geholt worden sein. Jesu Grab ist leer, denn Gott hat ihn auferweckt und seinem Leib neue Eigenschaften verliehen, so dass er zum Himmel auffahren konnte. Im Buch der Offenbarung beschreibt der Seher eine neue Welt, in der Gott und Christus in einer Stadt herrschen, die vom Himmel herabkommt, dem neuen Jerusalem, das allen Gläubigen offenstehen wird.
Die dritte Form, der Philosophenglaube, ist von ganz anderer Art. Manche Philosophen hielten den Glauben an ein Leben nach dem Tod für unbegründet: Für Mensch und Tier gebe es nur ein Schicksal, den Zerfall zu Staub. So sahen das der Grieche Epikur und der Römer Lucretius, und im Alten Testament ist Kohelet, der Prediger Salomo, derselben Ansicht. Unter den modernen christlichen Theologen hat sich Dorothee Sölle in diesem Sinne erklärt.
Doch nicht alle Philosophen der Antike lehnten den Jenseitsglauben ab. Platon entwickelte im 4. Jahrhundert die Lehre von der unsterblichen Seele. Der Seelenglaube hat auch in die Bibel Eingang gefunden, so wenn Jesus sagt, die Verfolger der Christen könnten zwar den Leib töten, aber nicht die Seele (Matthäus 10,28). Mehr oder weniger deutlich ist der Seelenglaube im Buch der Weisheit und bei Paulus im 2. Korintherbrief zu finden. Der Glaube an eine unsterbliche Seele ist in der Spätantike zur führenden Lehre aufgestiegen. Philosophen wie der Stoiker Seneca sowie alle Platoniker und
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