Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
versichern wollen.
Ähnlich gehe ich bei Zitationen vor. Oftmals zitiere ich aber nicht direkt, sondern indirekt, wobei ich dann Formulierungen finde, wie etwa, dass Kant den Schwarzen, die er mit dem «N-Wort» bezeichnet, zuschreibt, dass sie seltsame Ausdünstungen hätten, die von ihrer Minderwertigkeit zeugen würden. Manchmal zitiere ich aber auch direkt, wobei ich genau abwäge, ob dies wirklich unvermeidlich ist.
Dieser Eingriff in Originaltexte ist noch sinnvoller, wenn es sich um Übersetzungen von Kolonialismuskritiker_innen in die deutsche Sprache handelt. Gerade im deutschen Kontext gibt es viele Beispiele dafür, dass Schwarze Autor_innen von Weißen übersetzt wurden, die sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt haben, wie rassismussensibel zu übersetzen ist. Die deutsche Übersetzung von Fanons
Peau Noir, Masques Blancs
steht exemplarisch dafür. Zitiere ich aus dieser Übersetzung, so ersetze ich die rassistischen Begriffe mit gängigen Vokabeln gegen den Rassismus, nicht ohne dies in einer Fußnote anzumerken und zu erklären. Neuübersetzungen sind weithin üblich und wurden längst auch für
Pippi Langstrumpf
und andere Klassiker eingefordert.
Nicht allen wird dieses Verfahren einleuchten oder behagen. Das ist nachvollziehbar. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, rassistische Begriffe zu beschneiden statt im Sprechen über Rassismus fortzuschreiben. Der Verzicht auf rassistische Wörter lässt jedenfalls keine sprachlichen Leerstellen entstehen, vielmehr schafft er bewusste Irritationen, Ausgangspunkte für notwendige individuelle wie gesellschaftliche Reflexionen.
85. Warum heißt die Berliner Mohrenstraße manchmal Möhrenstraße? Sind Straßen nach Personen benannt, soll diesen eine besondere Ehrung zuteil werden, sollen sie Teil des kollektiven Gedächtnisses bleiben oder werden. Straßennamen tragen ein kulturpolitisches Selbstbekenntnis zur Schau. Straßenumbenennungen,so umstritten sie jeweils auch sein mögen, sind Teil aktiver Erinnerungspolitik.
Adolf-Hitler-Straßen gab es nach 1933 überall in Deutschland, auch in einigen von den Deutschen okkupierten Ländern. 1945 wurden diese Straßennamen ausgelöscht. Oft kam es zu Rückbenennungen, wobei in der DDR nunmehr die SED-Diktatur ihrerseits zahllose Straßen nach Kommunist_innen benannte. Nach 1989 bestand weithin Einigkeit darüber, sich dieses Erbes zu entledigen – was allerdings noch längst nicht überall geschehen ist. Der Name des U-Bahnhofes Mohrenstraße wiederum steht für ein anderes prekäres Defizit im erinnerungspolitischen Umgang mit Straßennamen.
Bei seiner Einweihung 1908 ist der U-Bahnhof nach dem nahegelegenen Hotel «Kaiserhof» benannt worden. Seit seiner Wiedereröffnung am 18. August 1950 hieß er «Thälmannplatz», so wie seit dem 30. November 1949 der Platz vor dem Bahnhof. Als für den von den Nazis ermordeten KPD-Führer 1986 im Prenzlauer Berg ein wuchtiges Denkmal eingeweiht und zugleich ein großer Park mit vielen Wohnungen zum «Ernst-Thälmann-Park» wurde, erfolgte abermals eine Umbenennung. Der U-Bahnhof hieß nun «Otto-Grotewohl-Straße», so wie die Wilhelmstraße vor dem Bahnhof seit 1964 hieß – dem Todesjahr des ersten DDR-Ministerpräsidenten. Während die Straße 1993 in Wilhelmstraße zurückbenannt wurde, wurde der U-Bahnhof 1991 nochmals neu benannt – und zwar nach der angrenzenden «Mohrenstraße».
In keiner anderen deutschen Stadt hat sich der deutsche Kolonialismus und Rassismus in so viele Straßen und Plätzen eingeschrieben wie in Berlin. Hier sind 70 Straßen und Plätze nach deutschen Kolonialverbrechern (z.B. Gustav Nachtigall, Herrmann von Wissmann, Adolf Lüderitz oder Carl Peters) und Orten deutscher Kolonialverbrechen (z.B. Kameruner Straße, Kongostraße, Togostraße oder Swakopmunder Str.) unkritisch benannt. Die Berliner M.straße stellt dabei ein besonders bezeichnendes Beispiel dar, denn hier wird ein Schauplatz des Kolonialismus mit einem rassistischen Begriff benannt.
Die noch unbefestigte Straße erhielt um 1700 ihren Namen, weil hier Menschen untergebracht waren, die im Kolonialjargon als «M.» bezeichnet wurden. Wer sie genau waren und warum sie hier weilten, darüber gibt es verschiedene Mutmaßungen (z.B. Militärmusiker, Diener des Königs oder anderer Adelshäuser, Repräsentantenihrer Völker, die sich symbolisch unterwerfen sollten), überzeugende Quellenbeweise für eine bestimmte These fehlen. Sicher ist wohl,
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