Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus
Differenzen innerhalb verschiedener islamischer Gesellschaften ein.
Zu dieser Konstruktion gehört, dass etwa in Deutschland der Islam als Bedrohung für den säkularisierten Staat dargestellt wird –einen Staat, der christliche Kindergärten fördert und in seinen Schulen weder Kruzifixe noch christlichen Religionsunterricht verbietet. Umgekehrt wird oft jedes Ansinnen, ein Minarett zu bauen, als Lehrerin ein Kopftuch zu tragen oder vom islamischen Glauben zu berichten, als aggressive und zwangsweise feindselig motivierte Unterwanderung der Trennung von Kirche und Staat bewertet. Dabei werden Muslime als fossile Verweiger_innen der Moderne konstruiert und so getan, als hätte die feministische Revolution außerhalb des Islam längst gesiegt und sexistische Taten und Moden aus dem Christentum und dem säkularisierten Deutschland verbannt, und als gäbe es andererseits keine unterschiedlichen Formen anti-rassistischer, feministischer und queerer Kritiken in islamischen Kontexten.
Zunächst mag es so scheinen, dass diese Islambilder vom islamistischen Terroristen als dämonisierten «Anderen», der, wie etwa die Berliner Professorin für Rassismus und Migration Iman Attia anmerkt, in machohafter Brutalität jeder Moral und aller Werte entbehre, sowie nichts mit den exotisierenden Vorstellungen vom Orient als ewig gestriger, märchenhafter Vormoderne und mit exotisch-erotischen Fantasien vom sinnlichen Harem und Bauchtanz zu tun habe. Exotisierung und Dämonisierung aber gehören zusammen. Zudem ist es auch historisch gesehen mitnichten so, dass sich Orient und Islam antithetisch verhielten bzw. der Orient durchweg positiv besetzt wäre. Vielmehr wohnt auch ihm der Dualismus von Exotisierung und Dämonisierung inne. «Abhängig von Stand- und Zeitpunkt der Sprecher_innen», schreibt der Anglist Markus Schmitz, «bezeichnet der
Orient
den irrationalen Ort grausamer Häresie, Tyrannei und Unterwürfigkeit oder das exotisierte Lustobjekt einer narzisstisch motivierten Befriedigung sowie die Quelle einer erhofften geistigspirituellen Regeneration.» Angesichts der Komplexität dieser Konstruktionen und der Einheit von Exotismus und Dämonisierung greifen Begriffe wie Islamophobie oder Islamfeindlichkeit zu kurz. Allerdings sind auch Begriffe wie antiislamischer oder antimuslimischer Rassismus letztlich insofern irreführend, als der orientalistische Rasterfahnderblick Menschen entlang von Haut- und Haarfarben sowie etwa Bärten und Kleidungssymbolik wahlweise zu Orientalen, Arabern oder Muslimen macht. Dabei wird von «einer prinzipiellen, quasi-genetischen Gläubigkeit aller Menschen» ausgegangen, «die aus einem islamisch mitgeprägten Land stammen» (Sibille Merz) bzw. denen eine solche Herkunft zugeschrieben wird.So werden Menschen – wie etwa eine Deutsche türkischer Herkunft, ein arabisch sprechender Mensch oder auch nur eine Frau, die ein Kopftuch trägt – dem Islam einverleibt, die unter Umständen gar keine Muslime sind. Sie können Atheist_innen oder auch religiös sein, dabei aber jüdisch, christlich oder buddhistisch. Sie können den Islam ablehnen oder sich zu ihm bekennen. Das können sie als gläubige oder säkularisierte Muslime tun, welche sich etwa mit dem Islam identifizieren, um gegen die deutsche Ausgrenzungspolitik zu protestieren bzw. einen Fels des Dazugehörens in der Brandung des alltäglichen Rassismus hierzulande zu finden.
Griffiger und zutreffender, sagt die Politikwissenschaftlerin Mariam Popal, erscheint der Begriff «orientalistischer Rassismus», der Edward Saids (1935–2003) Begriff «Orientalismus» aufgreift. Said hatte gezeigt, wie sich der Westen seinen Orient erfand – das «Andere» als antagonistisches Gegenstück zum «Selbst».
9. Was ist Antiziganismus? Der Begriff Antiziganismus leitet sich aus dem französischen Antitsiganisme ab.
Zigan
wäre demnach das deutschsprachige Äquivalent zu
tsigane,
das genaugenommen mit «Zigeuner» zu übersetzen wäre. Der Suffix «-mus» bezeichnet häufig Ideologien oder Weltanschauungen. Antiziganismus wäre also als «Anti-Zigeuner-Ideologie» oder auch «Gegen-Zigeuner-gerichtete-Ideologie» zu übersetzen. «Zigeuner» aber gibt es nicht, nur Menschen, die als solche erfunden wurden – allen voran Sinti und Roma, aber auch Manusch und Kale. Die Zuordnung ergibt sich aus der Etymologie, in der sich vermutlich zwei Herkünfte verschränken: die griechische Sekte Athinganoi (= die Unberührbaren) und gipcyan (= als englische
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