Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Stadt.«
Wie schon erwähnt, waren die Verhältnisse innerhalb des Wirbels erstaunlich stabil, vergleichbar etwa einem heutigen Großraumflugzeug, das gelegentlich in eine Turbulenz gerät. Der Boden und die Wände vibrierten andauernd, aber nur ganz dezent, und ab und zu rumpelte es ein bißchen, und ein paar Teetassen und alte Männer fielen um, das war alles. Das ohrenbetäubende Brüllen, das der Tornado außen erzeugte, war in seinem Innern durch die dicke Sandhülle nur noch als sanftes Rauschen wahrzunehmen. Was vielleicht auch daran lag, daß es mit meinem Gehör nicht mehr so gut stand wie früher.
Ab und zu knackte und knirschte es gewaltig, wahrscheinlich wenn der Tornado in die Kurve ging. Dann schoben sich ein paar der locker übereinander verlegten Treppenstufen ineinander, das eine oder andere Haus wackelte ein wenig, aber niemand achtete darauf.
Die alten Männer hatten die Treppe und die Häuser aus allem möglichen, was sie im Tornado vorfanden, selbst gebaut. Angesichts ihres Alters eine beachtliche Leistung, andererseits hatten sie aber auch extrem viel Zeit dafür gehabt. Man hatte dabei auf jederlei architektonischen Schnickschnack verzichtet und die Form der Funktion untergeordnet. Alle Häuser sahen ungefähr gleich aus. Im Alter, stellte ich fest, legt man auf Äußerlichkeiten nicht mehr soviel Wert.
»Es ist wirklich das reinste Paradies«, erzählte mir einer der drei Männer, der Abrahamiel Kra hieß und das Hauptlager verwaltete. Er war, wie viele hier drinnen, mit einer Karawane unterwegs gewesen, als ihn der Sturm erwischt hatte (ich hatte zuerst angenommen, daß die meisten Insassen Opfer von Tornadohaltestellen wären, aber wie sich mit der Zeit herausstellte, war ich der einzige).
Das Lager war in einer längeren Reihe von Häusern an der mittleren Treppenlage untergebracht. Es war mit allen möglichen Dingen vollgestopft, Lebensmitteln, Werkzeugen, Schuhen, Kleidern, Badematten, Bürsten, Haushaltsartikeln, eine Art Kaufhaus, sortiert nach einem System, das nur Abrahamiel überblickte.
»Na schön, wir sind ein bißchen wackliger auf den Beinen als vorher, und man sieht ein bißchen schlechter - aber hier drinnen gibt's ja auch nicht viel zu sehen!« Abrahamiel konnte allem etwas Gutes abgewinnen.
»Es gleicht sich also aus. Das Beste ist, daß man sich um nichts Sorgen zu machen braucht. Und wir müssen nicht arbeiten, wenn wir nicht wollen. Der perfekte Ruhestand.
Der Tornado versorgt uns mit allem, was wir benötigen, und zwar im Überfluß. Die Leute stellen die verrücktesten Sachen an den Haltestellen ab! Hier, sieh mal: Weißwal-Kaviar! Nachtigallenzungen in Aspik. Einhorngulasch. Solche Sachen kriegst du sonst nur in Feinschmeckerrestaurants. Wir haben ganze Bauernhöfe hier drin, Hühner, Enten, Schweine und Milchkühe.
Selbst frischeste Lebensmittel werden nicht schlecht, weil hier drin ja nichts altert. Das betrifft natürlich nur die Sachen, die durch das Loch oben im Tornado hereingeflogen und nicht durch die Wand gegangen sind. Hier, dieses Faß Milch kam vor zwei Jahren hier reingesegelt. Schmeckt immer noch wie frisch gemolken.
Die Leute da draußen halten den Tornado für einen Gott oder so was. Sie kommen oft von ganz weit her, um ihre Opfer zu bringen, seit Jahrhunderten geht das schon so.
Selbst Könige müssen darunter gewesen sein, gemessen an dem Gold und Geschmeide, das hier manchmal reinsegelt. Wenn der Tornado etwas aufsaugt, verziehen wir uns einfach in die Häuser und warten, bis der Segen abgeregnet ist. Man muß wirklich aufpassen, im letzten Jahr sind zwei von uns beinahe von einem Kamedar erschlagen worden. Ich selbst habe mal eine Posaune auf den Kopf gekriegt, danach habe ich einen Monat lang nur noch schwarzweiß gesehen. Das meiste fällt unten in den Trichter, ein paar Sachen bleiben auf den Treppen liegen. Wir sammeln dann auf, was wir brauchen können. Manches ist auch unbrauchbar. Letztes Jahr hat es dreimal hintereinander Kanu-Paddel geregnet. Hast du vielleicht Verwendung für ein paar hundert Kanu-Paddel?«
Man wird vielleicht mutmaßen, daß man sich nicht so leicht damit abfinden kann, von einem Tag auf den anderen um achtzig Jahre gealtert zu sein, aber dem ist nicht so. Man gewöhnt sich sogar sehr schnell daran, in etwa drei, vier Tagen, wahrscheinlich aus dem einfachen Grund, daß man eh nichts daran ändern kann. Es ist gar nicht mal so schlecht, es wird eigentlich alles nur etwas langsamer, und man überlegt sich
Weitere Kostenlose Bücher