Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
sorgfältiger, was man unternimmt.
Man ging sowieso nicht mehr viel aus in der Tornadostadt. Es war eigentlich zu keiner Zeit ungefährlich, sich auf der Treppe aufzuhalten, denn immer konnte irgend etwas hereingewirbelt werden. Also beschränkten sich die Spaziergänge auf das Nötigste. Die meiste Zeit saßen die alten Männer in ihren kleinen Häusern und frönten ihren Hobbys. Ich hatte mich mit Balduan Beobab angefreundet, der mich als erster auf der Treppe gefunden hatte. Mindestens einmal am Tag ging ich zu seiner Behausung, um ein wenig mit ihm zu schwatzen. Wir erzählten uns gegenseitig unsere Lebensgeschichten.
Eines Tages erzählte mir Balduan, wie er in den Tornado gekommen war:
»Es war natürlich jugendlicher Leichtsinn. Ich habe schon immer gerne was riskiert, aber die Idee mit den Rettungssauriern war mit Abstand das Riskanteste.«
Bei dem Wort »Rettungssaurier« horchte ich auf.
»Ich hatte gehört, daß man, egal wie groß die Gefahr ist, immer noch in letzter Minute von einem dieser Saurier gerettet wird. Das wollte ich überprüfen. Ich bin im Paddelboot den Fhernhachenfall hinuntergestürzt, bin blindlings in die Friedhofssümpfe von Dull gewatet, ich habe mich in die reißenden Fluten des Lochflusses gestürzt — und tatsächlich war jedesmal einer von diesen alten Vögeln da, der mich in letzter Sekunde vor dem Schlimmsten bewahrte.«
Ich dachte an die Zeit mit Mac zurück. Ich hatte mich damals oft gefragt, wie die Leute in solch gefährliche Situationen geraten konnten.
»Ich wurde immer wagemutiger, im vollen Vertrauen auf die Saurier«, fuhr Balduan fort. »Das führte schließlich so weit, daß ich mich von den Dämonenklippen stürzte, ohne Sicherheitsseil.«
Bei »Dämonenklippen« horchte ich zum zweiten Mal auf. »Ich sprang einfach in den Abgrund, ohne mir viel dabei zu denken. Erst nach fünfhundert Metern Sturz fiel mir auf, daß an diesem Tag extrem schlechte Sicht herrschte, starker Nebel und Nieselregen, sehr ungünstige Bedingungen, um von einem Rettungssaurier gesichtet zu werden. Nach einem Kilometer kamen mir die ersten Bedenken: Was würde wohl passieren, wenn gar keiner auftauchen würdet Unter den Dämonenklippen befinden sich die Glashalmwälder, die aus meterlangen Halmen aus Kristallglas bestehen, so spitz und scharf wie Nattifftoffendolche. Aber selbst wenn da unten ein Matratzenlager gewesen wäre, hätte ich nicht überlebt, bei dieser Fallhöhe.
Ich verdrängte diesen unangenehmen Gedanken eine Weile, aber nach zwei Kilometern Sturz fiel mir die verdächtige Abwesenheit von jeglichen Pterodaktylen wieder unangenehm auf. Ich hatte noch etwa einen halben Kilometer, dann würde ich aufschlagen, daher wäre es schon begrü- ßenswert gewesen, wenn sich jetzt allmählich mal die Umrisse eines Flugsauriers gezeigt hätten, wenigstens in weiter Entfernung. Aber nichts dergleichen.
Ich stürzte die letzten hundert Meter, und dabei kam mir die Erkenntnis, daß es wohl unprofessionell gewesen war, bei so schlechter Sicht zu springen. Noch immer ließ sich kein Vogel blicken, was vielleicht ein Indiz dafür sein konnte, daß meine Entscheidung, ohne Fallschirm zu springen, nicht unbedingt auf reiflicher Planung basierte. Andererseits hätte mir ein Fallschirm auch nicht viel eingebracht, außer daß ich langsamer aufgespießt worden wäre.
Zehn Meter vor dem Aufschlag kam ich zu dem Schluß, daß es definitiv ein Fehler gewesen war, den Sprung gewagt zu haben. Ich machte mir heftige Vorwürfe, tadelte meine Sorglosigkeit und verurteilte auf das schärfste mein blindes Vertrauen in die Rettungssaurier.
Ich hatte mich tatsächlich geirrt, soviel stand fest. Einen Meter vor dem Aufgespießtwerden durch einen fahnenmastlangen Glasdolch hatte ich eine der tiefsten Einsichten meines Lebens: daß ich ein kompletter Idiot war. Fünfzig Zentimeter vor dem Aufschlug unterstrich ich diese Erkenntnis in Gedanken mit einem dicken Rotstift zweimal. Zehn Zentimeter vor dem Aufschlag kam aus dem dichten Nebel ein Flugsaurier geschossen, packte mich am Genick und trug mich wieder hinauf zu den Dämonenklippen, wo er mir eine ordentliche Gardinenpredigt hielt. Ich habe mich noch nie vorher so geschämt, und ich hatte mir schon so manch eine Predigt von Rettungssauriern angehört. Mann, dieser Vogel konnte einem wirklich die Leviten lesen! Das erstaunlichste war, daß auf seinem Rücken ein kleiner Bär saß. Nicht so einer wie du, mit weißem Fell. Sein Fell war blau.«
Nun war
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