Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
müssen größer gewesen sein als Windmühlen.
Ich weiß nicht mehr, wie lange es dauerte, bis es ganz vorü- bergefahren und wieder aus meinem Sichtfeld verschwunden war, aber es zog sich wohl ungefähr einen Tag und eine Nacht hin. Ich wußte es damals noch nicht, aber das war die MOLOCH, das größte Schiff, das jemals die Meere befahren hat.
Aus dem
»Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens
und Umgebung«
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
Moloch, die: Mit 936 589 Bruttoregistertonnen und eintausendzweihundertvierzehn Kaminschloten gilt die Moloch als das größte Schiff der Welt. Nähere Angaben über die Moloch können nicht gemacht werden, jedenfalls keine wissenschaftlich abgesicherten, da niemand, der jemals die Moloch betreten hat, wieder zurückgekehrt ist, um von ihr zu berichten. Natürlich ranken sich Tausende von Legenden um dieses Schiff, aber keine davon hat erkennbaren Anspruch auf Glaubwürdigkeit.
In der Nacht leuchteten Tausende von Bullaugen heller als die Sterne - die Fenster einer schwimmenden Riesenstadt. Das Stampfen der Maschinen war ohrenbetäubend, es klang wie eine Armee aus Eisen, die über den Ozean marschiert.
Tagsüber versuchte ich, jemanden an Deck auszumachen, aber es war so hoch, daß ich kaum etwas erkennen konnte. Ab und zu tauchten schemenhaft Gestalten an der Reling auf und warfen Abfälle ins Meer, dann machte ich jedesmal ein Mordsspektakel, winkte und jaulte, sprang auf dem Floß auf und ab und schwenkte das Palmblatt, aber meine Versuche waren genauso fruchtlos wie die Kaperversuche der Zwergpiraten.
Es war nicht ganz ungefährlich. Mehr als einmal geriet ich beinahe in den Sog der gigantischen Schiffsschrauben, Schwärme von Haien drängelten sich dicht um den Schiffsrumpf und rissen sich um die Essensabfälle, die unablässig über Bord geworfen wurden. Man hätte über ihre Rücken bis zur Bordwand spazieren können, so viele waren es manchmal.
Das erstaunlichste aber war etwas anderes. Trotz seiner monströsen Häßlichkeit ging von dem Riesenschiff eine geheimnisvolle Anziehungskraft auf mich aus. Es gab dafür keinen einsehbaren Grund, alles an dieser Maschine war abstoßend, dennoch hatte ich keinen dringlicheren Wunsch, als auf ihr die Meere zu befahren. Der Wunsch erschien in meinem Kopf in dem Augenblick, als die Moloch als kleiner Punkt am Horizont auftauchte, und er wuchs, je näher sie mir kam. Während das Schiff mein Floß passierte, wurde diese Sehnsucht geradezu übermächtig.
»Komm!« sagte eine Stimme in meinem Kopf. »Komm auf die Moloch!«
Die Stimme hatte einen unwirklichen Klang, wie aus dem Jenseits gesprochen, von einem Wesen ohne Körper.
»Komm!« sagte sie. »Komm auf die Moloch!«
Ich wäre dieser Aufforderung damals liebend gerne nachgekommen. Heute weiß ich, daß es mein Glück war, daß zwischen mir und dem Schiff diese unüberwindbare Barriere aus Haifischen existierte, aber damals zerriß es mir beinahe mein kleines Herz, die Moloch davonziehen zu sehen.
»Komm! Komm auf die Moloch!«
Schließlich verschwand der Schiffsgigant aus meinem Gesichtskreis, während der Himmel noch lange schwarz blieb, wie bei einem sich entfernenden Gewitter.
Immer dünner klang die Stimme in meinem Kopf.
»Komm!« sagte sie nur noch ganz leise. »Komm auf die Moloch!«
Dann waren beide, das Schiff und die Stimme, verschwunden. Irgendwie stimmte mich das traurig. Damals dachte ich, ich würde es nie wiedersehen. Ich konnte ja nicht ahnen, welch entscheidende Rolle die Moloch in meinem Leben noch spielen sollte.
Der Ozean lag nun seit Tagen wieder ruhig und silbern da, nur ab und zu segelte ein Schönwetterwölkchen über den Horizont. Nachdem ich die Moloch gesehen hatte, verlor ich jeglichen Respekt vor meinem eigenen Wasserfahrzeug. Eindringlicher konnte einem der Unterschied zwischen einem Schiff und einem Floß nicht vor Augen geführt werden. Ich erwog gerade die Möglichkeit, einfach ins Wasser zu springen und schwimmenderweise das Land zu erreichen, als ich klar und deutlich zwei Stimmen hörte:
»Naja, also auf jeden Fall - ich kann dir sagen!« sagte die eine.
»Ist nicht die Möglichkeit!« rief die andere.
Ich spähte in alle Himmelsrichtungen. Es war nichts zu sehen.
»Wenn ich's dir doch sage!« erklang wieder die eine Stimme. »Na, du kannst mir viel erzählen!« sagte die andere.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen. Nichts, gar nichts weit und breit. Außer Wellen.
»Ich hab's
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