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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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Schrecken versetzen können. Haben sie das erreicht, saugen sie die Angst in sich hinein wie Milch durch einen Strohhalm.
    Wenn ich diese durchsichtigen Gespenster von ihren nächtlichen Beutezügen heimkehren sah, vollgesogen mit Angst, satt und feist wie Tiefseeschwämme, dann standen mir die Haare zu Berge. Anfangs wollten sie mich noch auf ihre Schlemmertouren mitnehmen, aber sie ließen es bleiben, als sie merkten, daß ich nicht übers Wasser gehen konnte.
    Trotz meiner anfänglichen Abscheu vor den Klabautergeistern: Ich muß zugeben, daß ich immer mehr Spaß an den allabendlichen Vorstellungen fand. Das Lampenfieber am Anfang, meine immer besser werdenden Schluchzarien, der tosende Applaus am Schluß - ich wurde regelrecht süchtig danach. Es fiel mir immer leichter, einfach so loszuflennen (und ich kann es auch heute noch, wenn aus dramaturgischen Gründen gelegentlich mal ein paar Tränchen notwendig sind).
    Ich brauchte nur an etwas Trauriges zu denken, und schon ging es los. Ich baute dramatische Steigerungen und wirkungsvolle Schluchzpausen in mein Programm ein. Ich beherrschte die ganze Palette, vom leichten Seufzen über das verzweifelte Schluchzen bis hin zum kreischenden Tobsuchtsanfall. Ich lernte, den Rhythmus meines Schluchzers mit der Melodie meines Heulens so perfekt abzustimmen, daß kleine Symphonien daraus entstanden. Ich konnte mein Kreischen in hysterische Höhen schrauben, um es gleich darauf wieder in tiefe Jammertäler des Schniefens abstürzen zu lassen. Manchmal sabberte ich minutenlang fast tonlos vor mich hin, um das Publikum in unerträgliche Spannung zu versetzen, und dann brüllte ich auf einmal los wie ein heimatloser Seehund.
    Die Klabautergeister waren Wachs in meinen Händen. Jeden Abend wurden die Ovationen lauter, anhaltender und begeisterter. Sie erstickten mich beinahe mit Blumen, wanden mir Kränze und überschütteten mich mit Beeren und Obst - kein Wunder, daß ich mir immer mehr in meiner Rolle gefiel. Wenn man im Rampenlicht steht und den Beifall empfängt (auch wenn es nur das fahle Licht der Klabautergeister und ihr gespenstisches Geheul ist), kann einem das schon zu Kopf steigen. Man darf nicht vergessen, daß ich noch sehr jung war - es war erst mein zweites Leben. Bald war ich für meine Starallüren bekannt und wurde gelegentlich sogar launisch wie eine Operndiva. Wenn mein Publikum nicht frenetisch genug applaudierte, wurde ich schroff und verließ ohne Zugabe die Bühne. An manchen Abenden täuschte ich Kopfschmerzen vor, um die Vorstellungen platzen zu lassen und die Klabautergeister zu quälen. Ich wurde ein ziemliches Ekel, fast so eklig wie die Klabautergeister selbst. Tatsächlich wurde ich ihnen immer ähnlicher. Ich fing an, ihren gruseligen Singsang zu imitieren und ihre Lieder nachzusummen. Zuerst hatte ich noch darauf bestanden, allein und unter freiem Himmel zu übernachten, aber nach einiger Zeit schlief ich bei ihnen in ihren Baumhöhlen. Ich kuschelte mich zwischen die summenden Gespenster und träumte ihre gruseligen Träume. Bald roch ich wie sie nach fauligem Holz und leuchtete manchmal ein ganz kleines bißchen im Dunkeln, weil ihr Leuchtgas in meinem Fell hängenblieb. Ich machte sogar mehrere vergebliche Versuche, übers Wasser zu gehen, um sie bei ihren Beutezügen begleiten zu können. Einmal wäre ich dabei beinahe in einem Waldtümpel ertrunken.
    Mir selbst fiel gar nicht auf, wie sehr ich mich darum bemühte, ein Klabautergeist zu werden. In jungen Jahren ist es ganz natürlich, so sein zu wollen wie die anderen. Das eigentlich Schlimme daran war, daß ich mich offensichtlich damit abgefunden hatte, mein restliches Leben auf der Klabauterinsel zu verbringen.
    Eines Abends, als ich wieder mal versuchte, übers Wasser zu gehen (ich war bei meinen Übungen zu sehr seichten Gewässern übergegangen), sah ich mich selber im Spiegelbild einer großen Pfütze. Ich ertappte mich dabei, wie ich die gummiartigen Bewegungen der Klabautergeister nachäffte und sogar in ihr scheußliches meckerndes Gelächter verfiel. Das bewegte Wasser der Pfütze gab dabei meine Gliedmaßen ähnlich wabernd wie die der Klabautergeister wieder. Ich erschrak.
    Was, schoß es mir plötzlich durch den Kopf, würden wohl die Zwergpiraten von mir denken, wenn sie mich so sehen könnten? Ich schämte mich sehr. Noch heute steigt mir die Schamröte ins Gesicht, wenn ich an diesen Anblick zurückdenke.
    Das war der Augenblick, in dem ich beschloß, von der Klabauterinsel

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