Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
negativen Gefühlen, also mußte ich für sie weinen, wodurch ich so was wie der Star auf der Klabauterinsel wurde. Ich habe durchaus Erfahrungen in der Unterhaltungsbranche. An manchen Abenden weinte ich vor ausverkauftem Baumfriedhof, ich ...«
Das polternde Gelächter der Made ließ mich verstummen. Ihre Speckrollen schwappten auf und ab wie Wellen aus Fett. »Er weinte vor ausverkauftem Baumfriedhof! Huuuh! Das ist gut! Aufhören ... Nein! Weitermachen!«
Smeik kollerten Lachtränen die Backen herunter. Machte er sich über mich lustig? Ich sollte vielleicht etwas Ernsthaftes sagen, etwas, das auf meine Seriosität und Intelligenz verwies.
»Ich verfüge über einen großen Wortschatz! Ich wurde von Tratschwellen ausgebildet!«
»Tratschwellen! Das ist zu gut! Sonst noch irgendwelche Referenzen?«
»Ich habe ein sprechendes Lexikon im Kopf, das ...«
»Ein sprechendes Lexikon im Kopf! Der Junge ist ein Naturtalent! Weiter! Weiter!«
»Naja, ich bin dann durch die Wüste gezogen und habe eine Stadt gefangen, stimmt nicht, es war eigentlich keine richtige Stadt, es war eine halbkonkrete Luftspiegelung. Aber sie war voller Fatome, die rückwärts sprachen, und dann verschwanden ständig ganze Häuser, also eine unhaltbare Wohnsituation. Danach habe ich in einem Wirbelsturm gelebt. Deswegen bin ich eigentlich fast hundert Jahre alt, aber durch die Umkehrdrehung des Tornados bin ich wieder jünger geworden. Also, in diesem Tornado war eine Stadt mit jahrhundertealten Männern, die ... Halt, ich habe vergessen zu erzählen, wie ich in das Dimensionsloch gefallen bin! Ich landete in einer Dimension, wo man Musik auf Instrumenten aus Milch macht und ...«
Smeik war vor lauter Lachen hinter seinen Schreibtisch gefallen und kam jetzt mühsam wieder hoch.
Plötzlich wurde mir bewußt, daß die Schilderung meines Lebens in Kurzform den Eindruck von Geisteskrankheit vermitteln mußte. Ich hielt es daher für besser, uns die Geschichte vom Großen Kopf zu ersparen, ab jetzt zu schweigen und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden, sobald diese peinliche Situation überstanden war.
»Hör auf! Stop! Spar dir das für deine Auftritte!« rief Volzotan Smeik. »Das ist sensationell! Ich nehme dich unter Vertrag! Ich werde dein Agent. Du bekommst zehn ... nein, sagen wir fünf Prozent aller Einnahmen. Einverstanden? Ich mache dich reich und berühmt. Unterschreib hier auf der gepünktelten Linie!«
Er hatte ein Formular aus der Schublade gezogen und legte es auf den Tisch. Groot und Zille schubsten mich näher. Ich beugte mich über das Dokument, aber es war in so winzigen Buchstaben geschrieben, und die Lichtverhältnisse waren so schlecht, daß ich nichts erkennen konnte.
»Unterschreib!« raunte Zille in mein Ohr. »Das ist die Chance deines Lebens. Bevor er es sich anders überlegt.«
Was hatte ich zu verlierend Ich war hierhergekommen, um Lügengladiator zu werden, das hatte ich geschafft, also'warum jetzt nicht zugreifen? Ich nahm den Stift und schrieb groß und deutlich »Blaubär« auf die gepünktelte Linie.
Nachdem ich Chemluth die Neuigkeiten mitgeteilt hatte, besprachen wir lange die Pläne für die weitere Zukunft. Chemluth sollte mein direkter Betreuer und Trainer werden. Man war nicht einfach so Lügengladiator, dafür bedurfte es eines ständigen und intensiven Trainings, das hatte Smeik mir eingeschärft.
Jeder kann sich hinstellen und eine platte Lüge von sich geben, das ist keine Kunst. Das Geheimnis besteht darin, den Zuhörer an sie glauben zu lassen. Und wie jede wirklich große Kunst besteht auch die des Lügens aus Fleiß und zahlreichen Schichten. Der Maler streicht Schichten von farbigen Pigmenten und Lasuren übereinander, der Musiker komponiert Lagen aus Melodien, Rhythmen, Stimmen und Instrumenten, der Schriftsteller fügt Wortschicht für Wortschicht übereinander, und der Lügner stapelt Lügen zum Meisterwerk. Ein guter Schwindel muß sein wie eine solide Backsteinmauer, geduldig Lage auf Lage gefügt und darum als Ganzes unerschütterlich.
Dazu muß man behutsam Lüge und Wahrheit mischen, Erwartungen schüren und dann wieder enttäuschen, falsche Fährten legen, erzählerische Haken schlagen, Schleichwege gehen und vor allen Dingen: Das Gesicht muß mitlügen. Jede noch so kompliziert gebaute Flunkerei kann durch den falschen Gesichtsausdruck zusammenstürzen. Ein falsch plaziertes Zucken der Augenbraue, ein unsicheres Zittern des Augapfels - und das kunstvoll gewirkte Lügengespinst
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