Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
zu erledigen.
Als hätten die nattifftoffischen Politiker meine Empfehlungen beherzigt, gab es am frühen Abend dieses Tages tatsächlich ein Gewitter. Kein gewöhnliches Unwetter - es schien nämlich nicht von oben zu kommen, wie normale Gewitter das zu tun pflegen, sondern von unten, aus dem Inneren der Erde. Zwar kesselten ganz gewöhnliche schwarze Regenwolken die Stadt ein und verdunkelten die Sonne, aber die Blitze kamen direkt aus den Eingeweiden von Atlantis. Es waren die vertrauten blauen Blitze, aber in einer Größe und Anzahl, wie ich es noch nie gesehen hatte.
Wir standen auf der Terrasse meiner Villa und sahen uns das unglaubliche Spektakel an. Es war Mittwoch, in zwei Stunden würde mein Kampf beginnen. Ein kühler Wind kam auf, aber er wehte nicht aus der Atmosphäre heran, sondern schien direkt aus der Kanalisation zu blasen. Kanaldeckel flogen meterhoch in die Luft, baumdicke blaue Blitze schossen hinterher bis hinauf in die Wolken.
Wetterwirbel brauten sich zusammen, lange, dünne Windhosen, die kurz aufbrüllten und dann in der Kanalisation verschwanden. Solche Gewitter, meinte Volzotan Smeik, gebe es in Atlantis nur alle hundert Jahre. Dieses hier sei das dritte, das er selbst erlebe. Ich solle mich glücklich schätzen, eines davon sehen zu dürfen. »Die Unsichtbaren Leute sind böse«, sagte ein Blutschink, der für seinen Aberglauben bekannt war.
Smeik lachte.
Dann lösten sich die Wolken stellenweise auf, ein frischer Ostwind blies die letzte Schwüle weg. Das Naturspektakel hatte die Luft gereinigt. Ideale klimatische Bedingungen für ein Duell. Wir machten uns auf zum Megather.
Kurz vor dem Duell, es war mein 59. Hauptkampf, kam Smeik alleine in meine Kabine. Er schickte Chemluth hinaus, weil er mit mir unter vier Augen sprechen wollte. Smeik schien etwas Wichtiges mitzuteilen zu haben, er hatte für gewöhnlich keine Probleme, etwas frei heraus zu sagen. Diesmal aber wand er sich wie eine Schlange.
»Hör zu, ich möchte, daß du mir heute abend einen Gefallen tust. Du weißt, daß ich dir in der letzten Zeit jeden Wunsch von den Augen abgelesen habe. Jetzt möchte ich, daß du ausnahmsweise etwas für mich tust.«
»Ist schon geschehen, Smeik.«
»Ich möchte, daß du heute abend verlierst.«
Hätte er mir erzählt, daß Atlantis demnächst im Meer versinkt, hätte ich nicht überraschter sein können.
»Die Sache ist die: Du bist zu gut geworden. Die Wetten sind das entscheidende Geschäft bei den Lügenduellen. Da aber jeder weiß, daß du sowieso gewinnst, wettet niemand mehr auf deine Gegner. Deswegen können wir keine Gewinne mehr machen. Hör zu: Du mußt nur einmal verlieren, diesen Abend. Ab nächste Woche wird alles wieder wie immer sein, du gibst nur für eine Woche den Titel ab. Ich habe eine Menge Pyras gegen dich gewettet, mein Junge. Um genau zu sein: alle, die ich habe. Wenn du heute abend gewinnst, bin ich ruiniert. Und du weißt doch, wie sehr ich am Geld hänge. Also enttäusche mich nicht.«
Smeik schwabbelte davon, ohne eine Antwort abzuwarten. Der Phogarrenqualm folgte ihm wie ein treues Schoßtier. Wie betäubt betrat ich das Megather. Ich hatte nicht gewagt, Chemluth von der Sache zu erzählen, um ihn nicht mit hineinzuziehen. Zum ersten Mal in meiner Gladiatorenlaufbahn hatte ich die gleichen weichen Knie wie bei meinem ersten Duell, als ich den Thron des Herausforderers bestieg. Der Gegner ließ auf sich warten, zum Unmut des Publikums. Aufgebrachte Blutschinken warfen erste Maiskolben. Ich hatte nicht mal eine Ahnung, wer mein heutiger Gegner sein würde. Das war mir im allgemeinen gleichgültig, ich nahm es mit jedem auf. Und heute konnte es sowieso egal sein, ich sollte ja auf jeden Fall gegen ihn verlieren. Ich hatte beschlossen, Smeik den Gefallen zu tun. Was blieb mir auch anderes übrig?
Dann wurde im Orchestergraben der Gong geschlagen und mein Herausforderer hereingeführt.
Es war Nussram Fhakir, der Einzigartige.
Jetzt war mir klar, warum Smeik diesen Abend gewählt hatte. Der Meister aller Lügengladiatoren versuchte ein Comeback! Die Wetteinsätze mußten astronomisch sein, auf beiden Seiten. Ich war der Unbesiegbare, aber er war der Einzigartige. Selbst unter Meisterlügengladiatoren galt Fhakir als unangefochtener Champion, als größter, begnadetster Lügner aller Zeiten.
Wir alle hatten seine Werke gelesen und seine Duelle studiert. Er hatte die Nussram-Eröffnung erfunden, eine Standardeinleitung für Lügen, die alle
Weitere Kostenlose Bücher