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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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rechts - und tat dann das einzig Richtige: Ich nahm die letzten Stufen mit einem gewaltigen Schritt und ließ mich in den Sessel plumpsen. Das Publikum stöhnte erleichtert auf.
    Ich wurde vollkommen ruhig.
    Es war, als ob magische Kräfte in mich hineinströmten. Ich spürte die Präsenz meiner Vorgänger, die hier vor mir gesessen hatten, ich spürte die Anwesenheit meiner Idole Selbender Sinngh, Gabrosiek Nassatrams, Salguod Smadada, Gnotee Valtrosem, Hüsker von Grübezahl, Vlomoot Lomootvlo, Bemmbemm Chirella und natürlich von Nussram Fhakir, dem Einzigartigen. Ich konnte ihre Nähe fühlen, obwohl sie schon lange tot, zurückgetreten oder verschollen waren. Sie alle waren einmal Herausforderer gewesen, sie alle hatten einmal hier gesessen, bevor sie den Lügenkönig gestürzt und den Siegerthron besetzt hatten. Ich hatte den Eindruck, daß Nussram Fhakir persönlich hinter mir stand und zu mir sprach. Er flüsterte mir ins Ohr, daß dies mein Abend sei, daß der Königsthron von einem unwürdigen Stollentroll beschmutzt würde, und daß ich die Verantwortung trüge, diese Schande zu tilgen.
    Vielleicht hatte ich aber auch nur vor lauter Lampenfieber den Verstand verloren.
    Dann wurde Lord Nelloz hereingetragen. Er war zunächst etwas überrascht darüber, mich auf dem Herausfordererthron zu sehen, aber dann schien er Gefallen an der Sache zu finden. Er sah mich mit einem Blick an, in dem sich Vorfreude, Neugier und Mitleid mischten, wie bei einer Katze, die einen gefangenen Vogel zwischen den Krallen hält.
    Seltsamerweise beeindruckte mich das nicht im geringsten. Als Herausforderer hatte ich die erste Geschichte zu erzählen. Ich mußte nicht einmal nachdenken, ich brauchte auch keine der auswendig gelernten Lügen aufzusagen, die ich mir für Notfälle zurechtgelegt hatte.
    Meine erste Geschichte kam wie von außen, als ob meine Idole sie mir in mein Ohr geflüstert hätten, sie pulsierte durch mein Gehirn und kam als makelloses Lügengespinst aus meinem Mund heraus. So jedenfalls ist meine Erinnerung. Von ihr selbst weiß ich nicht mehr das geringste, wie ich auch an die anderen Geschichten, die ich an diesem magischen Abend zum besten gab, keinerlei Erinnerung habe. Sie muß aber ziemlich gut gewesen sein, denn ich erreichte neun Punkte, das höchste Ergebnis eines Anfängers für die Eröffnungsgeschichte in der Historie der Lügenduelle. Der Stollentroll war Lügengladiatorvergangenheit, schon in der ersten Runde des Duells, er wußte es nur noch nicht. Das heißt, er schien es zumindest schon zu ahnen, seine Gegengeschichte war zwar wie immer hochoriginell, aber mit leichten Unsicherheiten in der Stimme vorgetragen. Auch wenn sie noch so gering waren, solche Unzulänglichkeiten hatte man von ihm noch nie gehört. An sein Gejammer, seine gespielte Unterwürfigkeit war man gewöhnt, aber das hier war echte Unsicherheit, und die verzieh das Publikum nie. Die Lügenkönige wurden immer an ihren Höchstleistungen gemessen. Dieser formschwache Auftritt brachte ihm gerade mal dreieinhalb Punkte ein.
    Bei der zweiten Geschichte war ich noch besser. Die Lü- genkönige in meinem Kopf legten mir nahe, das schauspielerische Beiwerk mehr zu pflegen, dramatische Gesten zu benutzen, die Mimik zu verstärken. Obwohl die Geschichte nur drei Minuten dauerte, gelang es mir in dieser kurzen Zeitspanne, das gesamte Publikum zweimal zu Tränen zu rühren und viermal einen Lachorkan auszulösen. Der Applaus war frenetisch.
    9,5 Punkte auf der Skala.
    Lord Nelloz versuchte zu retten, was möglich war - aber da war nichts mehr zu retten. Es war, als hätte er gleich in der ersten Runde einen Hieb auf die Nase bekommen, von dem er sich nicht mehr erholte. Mit krächzender Stimme gab er eine lausige Geschichte von sich, die auch dadurch nicht an Spannung gewann, daß er mehrmals den Faden verlor. Er war den Tränen nahe. Vereinzeltes mitleidiges Klatschen. Ein Punkt.
    Beim dritten Mal brachte ich alles zusammen, den dramatischen Aufbau der Lüge und die gladiatorische Technik, Mienenspiel und Gestik - ich spielte mit dem Publikum wie seinerzeit auf der Traumorgel. Schreie des Entsetzens, Trä- nen der Freude, herzhaftes Gelächter - all das entlockte ich der Menge mit meinen offensichtlich angeborenen Fähigkeiten innerhalb einer Minute, denn ich wollte es diesmal wirklich kurz machen. Die Spannung im Megather löste sich in einem allgemeinen verblüfften Stöhnen, als ich meine Pointe zum besten gab. Dann nur noch

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