Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
er hält sich gern in schummrig-feuchten Verhältnissen auf, meidet das Licht und lebt in von anderen Lebewesen hergestelltem Wohnraum [->Eisenmade, die], natürlich ohne um Erlaubnis zu fragen oder Miete zu entrichten.
»Also um ganz ehrlich zu sein - eigentlich bin ich gar kein Bademeister!« sagte die Gestalt sehr schnell. »Ich bin Grubeninspekteur. Ich inspiziere Gruben.«
Er klopfte prüfend gegen die Stollenwand.
»Ja ... sehr schön ... vorbildliche Stellung«, murmelte er anerkennend und pochte weiter mit dem Knöchel gegen die Wand.
»Ach was - warum lügen?« schrie er plötzlich und breitete theatralisch die Arme aus. »Ich bin gar kein Grubeninspekteur! Ich bin der Kaiser von Zamonien! In geheimer Mission! Inkognito! Daher die Verkleidung! Äußerlich mag ich aussehen wie ein ordinärer Stollentroll, aber innerlich bin ich ein mächtiger Monarch! Das erklärt die Abwesenheit einer prächtigen Bekrönung und meine etwas schäbige Aufmachung, nicht wahr?! Ein Täuschungsmanöver!«
Ich drückte mich ganz langsam an der Grubenwand entlang, bereit, jeden Augenblick loszurennen. Ich hatte es offensichtlich mit einem Verrückten zu tun.
»Na schön - ich gebe es zu: Ich bin gar nicht der Kaiser von Zamonien!« widerrief das Wesen unaufgefordert seine Behauptung. »Ich bin ein Pelp. Wir Pelpe sehen zwar äußerlich aus wie Stollentrolle, sind aber von wesentlich edlerer Gesinnung. Das ist es, was ich bin: ein Pelp im Stollentrollgewand - klingt das überzeugend?«
»Ja, sehr überzeugend«, antwortete ich mit unsicherer Stimme und ging dabei ganz langsam rückwärts. Noch ein Stückchen weiter bis zur Biegung, dann würde ich losrennen. »Na schön - ich bin ein Stollentroll!« brüllte das Geschöpf plötzlich. »Die Geißel der Finsterberge! Ein ekliges Haarbü- schel mit schlechten Absichten! Von allen gehaßt! Ein Außenseiter der Gesellschaft!« Der Stollentroll brach schluchzend zusammen und kroch auf allen vieren vor mir herum. Die Situation wurde immer unangenehmer.
»Kannst mich ruhig ein bißchen treten!« wimmerte er und sah mit tränenerfüllten Augen zu mir auf. »Das tun alle.« Behutsam näherte ich mich dem Stollentroll und klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken.
»Nana ... wird schon werden«, versuchte ich ihn zu trösten und bereute sogleich, ihn berührt zu haben, denn an meiner Handfläche klebte jetzt sein fettiger Schweiß, der einen ranzigen Geruch verströmte.
»Was weißt du denn schon!?« brüllte er mich so unwirsch an, daß ich zurückwich wie vor einem Hund, der plötzlich Anzeichen von Tollwut zeigte. Aber in diesem Fall war es wohl eher die Trollwut.
»Meinst du, ich hätte mir dieses Leben ausgesucht?« Der Stollentroll richtete sich auf und sah mich wütend an. »Dieses dreckige Fell, die Warzen, das Vegetieren in diesen finsteren Stollen, ohne frische Luft, ohne Licht - ohne Hoffnung? Meinst du, so hätte ich mir meine Karriere vorgestellt?«
Es war nicht einfach, darauf etwas Aufheiterndes, Unverfängliches zu erwidern. Hinter meinem Rücken versuchte ich, meine Hand an der Tunnelwand zu reinigen.
»Ich wäre viel lieber ein Schmetterling!« Seine Stimme bekam plötzlich etwas Leichtes, Zerbrechliches. »Ein Geschöpf der Schönheit, von allen geschätzt, sorglos gaukelnd im Sonnenlicht.« Er ahmte - nicht besonders gut - das Geflatter eines Schmetterlings nach. Langsam erregte er mein Mitleid.
»Nur dazu dazusein, die Herzen zu erheben, Freude zu spenden - zu existieren, um gut zu sein ...« Der Stollentroll drehte ein paar unbeholfene Pirouetten, blieb dann abrupt stehen und stierte finster auf den Boden. »Ist das so ein verwerflicher Wunsch?«
Er war anscheinend gar kein so übler Bursche. Die Anlagen und Vorsätze zur Besserung waren eindeutig vorhanden.
»Aber ich bin eben nur ein Stollentroll!« Seine Stimme klang nun wieder, als käme sie aus der Tiefe eines Brunnenschachts. »Das verabscheuungswürdigste Lebewesen in der bisherigen Schöpfungsgeschichte bin ich! Das Letzte!«
Er schlug seinen Kopf gegen die Wand. Es erzeugte ein hohles, unangenehmes Geräusch.
»Ich wäre lieber eine Kakerlake!« wimmerte der Stollentroll. »Oder eine Zecke. Sogar Bakterien genießen mehr Anerkennung.«
Ich versuchte ihn aufzurichten: »Es kommt doch nicht auf Äußerlichkeiten an! Wahre Schönheit kommt von innen!« Noch heute erröte ich über die Banalität meines Tröstungsversuchs.
»Das ist es ja!« schluchzte der Troll. »Ich bin ja auch innerlich
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