Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
sinken lassen noch den Hahn mit seinem Namen grüßen, die Hölzer verspeisen, den Geier schlagen ober deinen Bruber unzureichend begrüßen!
9. Du sollst nicht rückwärts finkeln! (Da niemand der Gimpel wußte, was »finkeln« bedeutete, konnte es auch niemand tun, was diese Regel zu einer der am leichtesten einzuhaltenden machte.)
10. Du sollst nicht vorwärts finkeln! (s.o.)
11. Du sollst nicht auf einer Düne nächtigen, die gegen Mittag wandert! Wandert sie hingegen Richtung Abend, dann gute Nacht!
12. Du sollst nach ber Stabt mit bem Namen Anagrom Ataf gehen, unb wenn bu sie gefunben hast, sollst bu sie fangen unb zu beiner Heimstatt machen für immerbar!
Da es in der Wüste keine weißen Hähne gab und ich wirklich nicht vorhatte, Holz zu essen, hatte ich mit den Regeln keine Probleme, außer daß ich sie nicht ganz verstand. Das letzte Gebot war mir das rätselhafteste. Wie konnte man eine Stadt »fangen«? Überhaupt war ich der Meinung, daß man all diese Gebote nicht ganz so ernst nehmen sollte. Um ehrlich zu sein: Ich hatte den Verdacht, daß der Autor dieser Gebote wahrscheinlich an einem massiven Sonnenstich gelitten hatte, als er sie verfaßte. Aber ich sagte den Gimpeln nichts davon, um ihre Gefühle nicht zu verletzen.
Die Gimpel hatten sich also wegen einer hirnverbrannten Flaschenpost der Idee verschrieben, eine Stadt namens Anagrom Ataf zu finden, zu fangen und zu bevölkern. Ganz neu war diese Idee übrigens nicht, die Gimpel waren nur die Gemeinschaft, die sie sich zum Programm gemacht hatte.
Seit Hunderten von Jahren geht in Zamonien die Legende von Anagrom Ataf um, einer Stadt irgendwo in der Süßen Wüste, die schon viele von ferne gesehen haben wollen - aber keiner hat sie je betreten. Angeblich soll es sich in dieser Stadt so beschwerdefrei wie sonst nirgends leben lassen, es gibt keine Miete, keine Kriminalität und keine schlechte Luft, KamedarParkplätze in Hülle und Fülle und so weiter, was man sich so von einer Wüstentraumstadt alles wünscht. Zumindest spekulierte man darauf, daß dort solche paradiesischen Verhältnisse herrschten.
Beschreiben, zumindest von außen, konnten sie viele: Eine Stadt aus weißen, niedrigen Häusern mit roten und goldenen Dächern, mit vielen schattigen Palmen dazwischen und hier und da einem schlanken Turm. Nichts Spektakuläres also, eigentlich eine typische Oasenstadt mittlerer Größe. Aber jeder, der versucht hatte, diese Stadt zu betreten, muß- te feststellen, daß sie vor ihm zurückwich wie ein scheues Reh und in der Wüste verschwand. Gerade dadurch, daß niemand jemals Anagrom Ataf von innen gesehen hatte, war ihr Ruf ins Legendäre gewuchert.
Abenteurer vermuteten in ihr sagenhafte Schätze, Alte und Gebrechliche Heilquellen oder den Brunnen ewiger Jugend, Verfressene das Schlaraffenland, manche glaubten sogar, sie sei das Tor zum Garten Eden. Viele waren ausgezogen, Anagrom Ataf zu finden, niemand hatte sie je ganz erreicht, und die Wüste war voll mit den vom Zuckersand abgeschmirgelten Knochen derer, die diesem Phantom von einer Stadt immer tiefer in die wasserarme Landschaft gefolgt waren. Und niemand hatte eine halbwegs brauchbare wissenschaftliche Theorie zu diesem Phänomen entwickelt, außer Professor Nachtigaller:
Aus dem
»Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und
Umgebung«
van Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
Anagrom Ataf: Anagrom Ataf ist eine halbstabile Fata Morgana bzw. eine oasenstadtförmige teilkonkrete Luftspiegelung in der ->Süße Wüste genannten Landschaftsform im Kontinent Zamonien.
Bei Temperaturen über 160 Grad Celsius schmilzt der Zuckerstaub der Süßen Wüste [->Zuckerschmelze. die], beginnt zu kochen und läßt dabei feinen Zuckerdampf aufsteigen. Wenn die Lufttemperatur in diesem Augenblick stark abfällt [etwa durch plötzliche Fallwinde], erhärtet sich der Zucker mitten in der Luft, und falls zusätzlich das Bild einer real existierenden Dasenstadt auf die kristallisierenden Zuckermoleküle fällt, kann sich das Stadtbild fest darauf einbrennen. So entsteht eine halbfeste spiegelverkehrte Scheinstadt, die vom Wind einmal hierhin, einmal dorthin geweht werden kann, so daß der Eindruck entsteht, daß diese Stadt sich aus eigenem Willen bewegt.
Ich hingegen war der Auffassung, daß Anagrom Ataf das Resultat von jahrhundertelangem Gimpgenuß und der Eintönigkeit der Wüste war, das Wunschbild einer Idealstadt, von Halbverdursteten
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