Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
nächste, was ich sah, nachdem ich mir den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, waren drei Gestalten, von Kopf bis Fuß in dunkle Gewänder gehüllt, aus denen dort, wo sich die Augen befinden mußten, zwei kleine Teleskope ragten.
Einer von ihnen beugte sich zu mir herunter.
»Ein blauer Bär! Das ist ja gimp!« sagte er mehr zu seinen Kumpanen als zu mir.
Ich kam jetzt endlich auf die Beine und klopfte mir den Wü- stenstaub aus dem Fell. Ein Stück weiter standen noch mehr dieser Figuren in dunklen Gewändern, vielleicht fünfhundert, und mindestens ebenso viele Kamedare.
»Wer seid ihr, wenn ich fragen darf?« murmelte ich mit der halbbetäubten Furchtlosigkeit des dem Schlaf Entrissenen. Der, der sich zu mir heruntergebeugt hatte, ergriff das Wort. »Das ist die Karawahne ohne Fahne! Wir sind die Gimpel ohne Wimpel!«
Er nahm mich beim Arm und wurde vertraulich. »Karawahne mit >h<, verstehst du? Wegen der Wahnvorstellung, der wir ...«
Der größere seiner Kumpane unterbrach ihn.
»Wir sind Gimpel: Du hast sicher schon von uns gehört. Wir sind auf dem Weg nach Anagrom Ataf. Möchtest du mitkommen?«
Aus dem
»Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und
Umgebung«
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
Gimpel, die: Nomadisierendes Wüstenvolk, beheimatet in der ->Süßen Wüste Zamoniens; eine vom Zufall zusammengewürfelte Notgemeinschaft von gesellschaftlichen Aussteigern und Außenseitern, die ihr Heil in der Einsamkeit suchten, dann aber wahrscheinlich nicht damit zurechtkamen und eine wandernde Stammesgemeinde gebildet haben, die immer noch im Wachstum begriffen ist. Finden die Gimpel in der Wüste eine notleidende oder orientierungslose Person, so nehmen sie sich ihrer an und in ihren Stamm auf, ohne Ansehen von Stand, Vermögen, Geschlecht oder Dimensionszugehörigkeit. Die Gimpel möchten erklärtermaßen nicht am sogenannten geregelten bürgerlichen Lebenswandel teilhaben, sondern einem eigenen Ideal von Freiheit und Müßiggang ohne Bevormundung nachhängen, unter möglichst hohen Temperaturen.
Die Gimpel sind erklärte Gegner jeglicher Auseinandersetzung, tierlieb, umgänglich und gastfreundlich, teilen leicht wirre gesellschaftspolitische Vorstellungen und haben eine Vorliebe für bizarre Namensgebung. Sie durchwandern schon seit etlichen Jahren die Süße Wüste auf der Suche nach einer legendären Stadt namens Anagrom Ataf und sind begnadete Kamedarzüchter [->Kamedar, das].
Die Bekleidung der Gimpel bestekt aus einer mehrere Meter langen dunkelblauen Gimpwollbahn [eine Wolle, die aus einem blauen Speisepilz gewonnen wird, der auch bei der Ernährung der Gimpel eine dominierende Rolle spielt; ->Gimp, das], die mehrfach um Körper und Kopf gewickelt wird, bis kein Sonnenstrahl die Haut mehr erreichen kann. Zwei Miniaturperiskope werden ständig in Augenhöhe getragen, da sich die Gimpel bei drohenden Sandstürmen gerne eingraben und von dort die Übersicht behalten wollen.
Möglicherweise lag es an meiner Schläfrigkeit, vielleicht auch an meinem immer noch dringenden Wunsch, so viel Distanz wie möglich zwischen mich und den Großen Wald zu legen, daß ich der Einladung der Gimpel bedenkenlos folgte. Ein weiterer Anreiz war die lässige und freundliche Art und Weise, wie die Gimpel mit mir umgingen. Hier wollte mich zumindest niemand mit einem eitrigen Sekret verflüssigen und verspeisen, was schon ein gewisser Fortschritt in meinem gesellschaftlichen Umgang war. Die Aufnahme in den Gimpelstamm verlief erfreulich unbürokratisch und zeremonionslos. Sie wickelten mich in eine dunkelblaue Stoffbahn (die Augenteleskope lehnte ich freundlich ab), irgend jemand rief laut »Anagrom Ataf!«, worauf alle anderen Gimpel »Anagrom Ataf!« zurückbrüllten, dann setzte sich die Karawane in Bewegung, und ich trottete einfach mit.
Nach einer Weile kam einer der Gimpel zu mir und fragte mich, ob ich Hunger hätte und eventuell etwas Gimp zu mir nehmen möchte.
Aus dem
»Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und
Umgebung«
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
Gimp, das: Biologisch etwas unzulängliche Umschreibung der Tiefzamonischen Blaupilzkaktee, die ausschließlich in bestimmten Regionen der ->Süßen Wüste gedeiht. Die Tiefzamonische Blaupilzkaktee wächst nur in Bodenlagen, die extrem unter dem Meeresspiegelniveau liegen, starker Sonnenbestrahlung ausgesetzt sind und über ausreichenden Zuckergehalt verfü- gen.
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