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Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär

Titel: Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Moehrs
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Riesenzug, bei dem man die Notbremse gezogen hatte. Er kam dicht hinter der weißen Erscheinung zum Stehen, hielt einen Augenblick inne, änderte dann donnernd seine Richtung nach links und war schon nach wenigen Augenblicken am Horizont verschwunden.

    Aus dem
    »Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
    Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und
    Umgebung«
    von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller

    Etikette von Ausnahmenaturphänomenen, die: Angesichts der Tatsache, daß Naturerscheinungen von phänomenalem Charakter, also große Stürme, Nordlichter, Vulkanausbrücke, Meteoritenregen etc., niemals gleichzeitig stattfinden, darf man davon ausgehen, daß unter diesen Phänomenen so etwas wie eine Etikette existiert, ähnlich einer Straßenverkehrsordnung, die von allen Naturerscheinungen grandioser Art respektiert und eingehalten wird: Wo ein Erdbeben tobt, würde sich kein Hurrikan einmischen, wo eine Luftspiegelung funkelt, vermasselt kein Tornado die Vorstellung. Wie diese Etikette zustande kommt und praktisch funktioniert, ist weitgehend unerforscht; leichtgläubige Gemüter raunen von beseelten Stürmen und denkenden Vulkanen, aber die Wahrheit ist wohl wie immer viel nüchterner und banaler, sie muß nur noch genauestens vermessen, katalogisiert, tabelliert, in zahlreichen Doktorarbeiten behandelt und zum Lehrfach erklärt werden.
    Die Erscheinung aber blieb. Zitternd schwebte sie immer noch über dem Wüstensand, als die Gimpel aus ihren Löchern gewühlt kamen und den Sand aus den Kleidern klopften. Wenn es tatsächlich eine Wahnvorstellung war, dann eine kollektive und sehr berühmte. Davon überzeugte mich ein Gimpel, der mit ausgestrecktem Arm auf die weiße Stadt zeigte und andächtig stöhnte: »Anagrom Ataf! «
    »Anagrom Ataf!«, schrie die ganze Karawane wie aus einer Kehle. »Anagrom Ataf!«
    Natürlich versuchten sofort ein paar ungeduldig veranlagte Gimpel, in die Stadt zu stürmen, aber es war genauso wie in den Erzählungen: Näherte sich der Stadt ein lebendiges Wesen, und sei es auch nur ein Kamedar, dann wich sie exakt um den Raum zurück, den man auf sie zugegangen war.
    Daher schlugen wir nach mehreren fruchtlosen Versuchen ein Lager in der Nähe auf und beschränkten uns in den nächsten Tagen darauf, Anagrom Ataf von weitem zu studieren.
    Nachdem ich gleichzeitig dem Scharach il Allah getrotzt und als erster Anagrom Ataf gesichtet hatte, war ich bei den Gimpeln über Nacht zu einer Respektsperson geworden. Wenn ich durch den Sand des Lagers stolzierte, gingen sie mir ehrfurchtsvoll aus dem Weg, niemand versuchte, mich in ein kompliziertes Gespräch zu verwickeln, beim Essen reichte man mir die größten Gimpstücke. Immer wieder bemerkte ich kleine Gesprächsgruppen von Gimpeln, die die Köpfe zusammengesteckt hatten und offensichtlich über mich tuschelten.
    Am Morgen nach der ersten Sichtung von Anagrom Ataf kam eine Abordnung von Gimpeln in mein Zelt. Sie baten mich, die Stadt zu fangen.
    »Eine Stadt fangen?«
    »Es steht in den Regeln. Paragraph zwölf.«
    »Und wieso ausgerechnet ich?«
    »Du bist der, der den Scharach il Allah bändigt. Du bist der, der das Buch im Kopf hat. Du bist der Auserwählte.«
    »Der Auserwählte! Der Auserwählte!« grölte die ganze Karawane draußen vor meinem Zelt im Chor. Anscheinend hatte man sich gesamtkarawanisch verschworen, mich zu becircen. Tatsächlich konnte ich ein gewisses Gefühl von Rührung und Stolz kaum unterdrücken.
    »Nicht doch, Leute!« versuchte ich abzuwehren.
    Die Abordnung fiel geschlossen auf die Knie und reichte mir große Stücke von geräuchertem Gimp, das eigentlich nur für Feiertage aufgehoben wurde. »Der Auserwählte! Der Auserwählte!« riefen die anderen Gimpel vor dem Zelt im Chor.
    Wenn man von den Gimpeln zum Auserwählten erkoren wird, darf man sich auf eine Auserwähltenfeier gefaßt machen, die sich gewaschen hat. Vom Auserwählten-Feiern verstanden die Gimpel etwas: Zuerst wurde ich von der Abordnung an Armen und Beinen aus dem Zelt getragen. Dann schwenkten sie mich ein paarmal hin und her und warfen mich im hohen Bogen in die Menge, wo ich von zahlreichen Händen aufgefangen wurde. Schreiend und singend trug mich dann die Meute etwa eine Stunde lang im Kreis, wobei jeder einzelne der Gimpel Wert darauf legte, mich wenigstens ein Stückchen mitgetragen zu haben.
    In der Zwischenzeit wurden große Feuer entfacht, auf denen Unmengen von Gimp gegrillt wurden, dazu floß der Gimpsaft in Strömen. Schließlich wurde

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