Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär
Bernstein. Oder, was vielleicht sogar noch schlimmer sein mag: Die Masse erkaltet, bevor sie ihn ganz verschlingt, und er muß bei lebendigem Leibe, halb eingeschlossen in erstarrtem Zucker, elendiglich verdursten.
Wir befanden uns in der Tat in einer Landschaft von der Gestalt einer Pfanne, und zwar genau in der Mitte. In zwei Kilometern Entfernung erhob sich ein kleines Zuckergebirge, dort mußten wir so schnell wie möglich hin. Ich schwang mich auf mein Kamedar, und wir galoppierten, so schnell es der immer weicher werdende Wüstenboden zuließ, zusammen mit der restlichen Karawane in Richtung der Berge.
Die Zuckerschmelze war aber schon ziemlich weit fortgeschritten, überall warf der Wüstenboden Blasen von hei- ßem Karamel, kleine Tümpel aus flüssigem Zucker hatten sich gebildet, und immer wieder blieben die Kamedare darin stecken, kamen nur mühselig wieder davon los oder fielen sogar der Länge nach hin. War das geschehen, mußte man sein Kamedar und sein Gepäck zurücklassen und sein Heil in der Flucht suchen.
Nach anderthalb Kilometern blieb mein Kamedar in einer Zuckerpfütze stecken, ich mußte abspringen und das arme Tier zurücklassen. Ich watete in der immer flüssiger werdenden Zuckermasse auf die Bergriesen zu. Es war wie ein Alptraum, mit jedem Schritt wurde es schwieriger, den Fuß wieder vom Boden zu lösen, als versuchten heiße, klebrige Hände den Flüchtenden festzuhalten und in den Tod zu ziehen.
Ich mobilisierte sämtliche Kraftreserven in meinen Beinen, so wie ich es damals beim Wettlauf mit der Waldspinne getan hatte. Die Zuckermasse aber wurde immer heißer. Die Gimpel schrien und feuerten sich gegenseitig an, die Kamedare blökten in Todesangst, hundertfach gellte das Echo unserer Panik von den Talkesselwänden zurück, die wir endlich erreicht hatten.
Mit letzter Energie kletterten wir schließlich über den Rand des Kessels, schoben und zerrten uns und die Kamedare gegenseitig in Sicherheit, kurz bevor die Zuckermasse darin endgültig zu kochen begann. Wir verloren an diesem Tag 14 Kamedare und 2000 Pfund getrockneten Gimp.
Mir wurde langsam klar, daß die Gimpel ganz entgegen ihren Absichten ein überdurchschnittlich hartes Leben führten, vielleicht das härteste in ganz Zamonien. Die tägliche Wanderung, die unglaubliche Hitze, die ständige Sorge um die Wasserversorgung, die Insekten und Giftschlangen, Sandmänner, Zuckerschmelzen - ich konnte mir ein entbehrungsreicheres und gefährlicheres Dasein kaum vorstellen. Unter solchen Umständen erfreut man sich an den kleinsten Dingen, an einer kühlen Brise, die durch ein Wü- stental weht, an einer Gimpkolonie, die man unter einem Stein findet.
Zu den wenigen angenehmen Ablenkungen zählten die vielfältigen Skulpturen, die der Zuckerwind in der Wüste hervorbrachte. Manche waren zu Bergmassivgröße herangewachsen, andere nur einen Meter groß, aber interessant war es immer, ihre Formen zu studieren und nach vertrauten Bildern in ihnen zu suchen. Es gab das Tal der weißen Bäume, in dem ein ganzer Wald von über hundert Meter großen Zuckerskulpturen stand, die aussahen wie schneebedeckte Tannenbäume; wir sahen einen See mit hohen Wellen aus Zucker, aus dem die Rücken von Walfischen ragten, die hohe Zuckerfontänen in den Himmel bliesen; eine Skulptur sah aus wie der riesige zuckerüberkrustete Kopf eines Bolloggs (einige Gimpel behaupteten, es sei tatsächlich einer); überall in der Wüste standen kleine Zuckergnome und winkten uns zu (die Gimpel behaupteten, sie würden nachts lebendig, um ihnen das Gimp zu stehlen und den schlafenden Kamedaren in die Ohren zu pusten).
Sogar ganze Karawanen schienen zu Zucker gefroren zu sein. Einmal sahen wir mindestens hundert Kamedare und ebenso viele Wolpertinger, verblüffend lebensecht aus Zukker geformt. Ein Gimpel meinte, es sei eine echte Karawane, die von einem der seltenen Staubzuckerstürme überrascht worden war. Solche Stürme kommen sehr selten vor, wenn nächtlicher Wüstenfrost, ungünstige Fallwinde und wandernde Staubzuckerdünen sich zu diesem seltenen Naturereignis paaren.
Wir anderen schauderten, wagten es aber nicht, die Behauptung des Gimpels an einer der Zuckerskulpturen zu überprüfen. Schnell zogen wir weiter und versuchten das gespenstische Bild zu vergessen.
Ich machte es mir zur Gewohnheit, mir die Skulpturen und ihre Standorte fest einzuprägen, die Wanderzeiten zwischen ihnen zu messen und basierend darauf in meinem Kopf eine Karte von der
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