Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die 13. Stunde

Titel: Die 13. Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
Vom Netzwerk:
war ein Bild von Tod und Schmerz. Das Leben war an diesem Tag für viele Menschen zur Hölle geworden. Doch so tragisch das Ereignis war, das Nick vor sich sah – er konnte in seiner Trauer nur an sich denken, war ganz auf das eigene Unglück konzentriert.
    Nick nahm die Fernbedienung und ertastete den Ausschaltknopf. Er warf einen letzten Blick auf die brennenden Trümmer und schaute kurz auf die Laufschrift am unteren Ende, die mit ihren Schlagzeilen den Blick auf sich zog und am linken Bildschirmrand verschwand, um gleich darauf am rechten Rand wieder zu erscheinen.
    Als Nick auf das Senderzeichen in der unteren Ecke starrte, entdeckte er etwas, was ihn erneut in Panik stürzte. Es war ein Detail, dem er sonst nie Beachtung schenkte. Angesichts der Berichterstattung über unvorstellbaren Tod und grausame Vernichtung hatte Nick es völlig übersehen. Es befand sich in der unteren rechten Ecke, in weißer Schrift – eine Information, bei der sich Nicks Gedanken überschlugen. Die Uhr hob sich hell vom Hintergrund ab, und er schaute zweimal hin, als würden seine Augen ihm einen Streich spielen. Er las noch einmal.
    20.15 Uhr.
    Nicks Blick zuckte zu seinem Handgelenk, doch dort, wo er normalerweise seine Armbanduhr trug, war nur blasse Haut. Dann erinnerte er sich …
    Er griff in die Jacketttasche und zog den Brief heraus. Der Umschlag war cremefarben und glänzte seidenmatt. In der linken Ecke befand sich ein kunstvolles blaues Wappen, ein Löwenkopf über einem erschlagenen Drachen, dessen Kehle ein verziertes Schwert durchbohrte. Nick war sich nicht sicher, ob es das Zeichen eines Klubs oder einer Privatschule war oder ob es sich um das Wappen des seltsamen Fremden handelte, des Europäers, der ihm das Kuvert gereicht hatte.
    Er griff noch einmal in die Tasche, zog die Uhr hervor, die der Europäer ihm gegeben hatte, und klappte sie auf. Die Innenseite des Deckels bestand aus spiegelblank poliertem Silber, in das mit Schreibschrift ein lateinischer Sinnspruch eingraviert war:
     
Fugit irreparabile tempus
     
Nick warf einen Blick auf das Zifferblatt. Die römischen Ziffern waren in altenglischem Stil gehalten; die Zeiger wiesen genau auf eine Viertelstunde nach acht Uhr, was bei Nick neuerliche Fassungslosigkeit hervorrief.
    Sein Verhör hatte um 21.20 Uhr begonnen! Er erinnerte sich genau, wie die Wanduhr im Verhörraum langsam auf zehn Uhr zumarschiert war, während er die Fragen der Polizeibeamten über sich ergehen ließ, den verzierten Colt-Revolver betrachtete und die Spannung wuchs, bis sie ihren Höhepunkt fand, als er Dance die Pistole fortriss und für einen Augenblick alles am Abgrund des Todes schwebte …
    Und dann fiel ihm wieder ein, wie er fast eine Stunde lang mit Marcus in diesem Zimmer hier gesessen und Scotch getrunken hatte, während der dumpfe Schmerz um Julias Verlust ihm beinahe das Herz zerriss. Voller Trauer waren sie beide gewesen, untröstlich. Nick erinnerte sich daran wie an einen Film in Zeitlupe. Marcus hatte vor ihm gesessen und ihm gesagt, alles würde in Ordnung kommen, als die Bibliothekstür sich plötzlich öffnete und die beiden Detectives mit grimmigen Mienen im Durchgang standen. Shannons Hand hatte auf dem Pistolengriff gelegen.
    Jetzt befand sich Nick wieder in dem Zimmer, in dem er verhaftet worden war – aus dem man ihn um neun Uhr abends in Handschellen abgeführt hatte …
    Sein Gedächtnis schien auf den Kopf gestellt worden zu sein. Ereignisse wirbelten umher und ordneten sich in der richtigen und falschen Reihenfolge neu. Das Letzte, woran Nick sich erinnerte, waren der Verhörraum und die Fotos von Julia, die Detective Shannon ihm hingeschoben hatte. Sie hatten ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben. Er wusste noch, wie er Dance die Pistole abgenommen und wie Shannon und er sich gegenseitig in Schach gehalten hatten.
    Doch ihm wollte nicht einfallen, was passiert war, nachdem Shannon auf den Abzug gedrückt hatte.
    Kopfschüttelnd klappte Nick die Uhr zu und steckte sie zurück in die Tasche.
    Dann schaute er wieder auf den Umschlag und betete, sein Inhalt möge die vielen Fragen beantworten, die ihm durch den Kopf schossen. Er riss das Kuvert auf, zog zwei Blätter cremeweißes Papier heraus und begann zu lesen.
     
Lieber Nick,
    ich hoffe, von Ihrem Geist lichtet sich der Nebel, und doch
    hege ich keinen Zweifel daran, dass nunmehr noch größere
    Unschlüssigkeit an dessen Stelle tritt, sodass Sie sich fragen,
    was eigentlich vorgeht …
     
Nick las den

Weitere Kostenlose Bücher