Die 13. Stunde
Werkzeug in der Tasche. Keine Elektronik, kein Strombedarf, keine Laser oder ausgeklügelte Schaltkreise, nur ein kleiner Glaserdiamant an einer Metallstange mit Saugnapf.
Sams Handy klingelte. Er nahm das Gespräch entgegen.
»Sam«, hörte er seinen Bruder Paul. »Sag kein Wort.«
»Ja«, erwiderte Sam mit einem falschen Lächeln, schloss den Kofferraum und stieg in den Wagen.
»Ich bin am Terminal für Privatflugzeuge«, sagte Paul. »Ich habe Hennicots Safe bereits geöffnet. Der Kasten ist hier.«
Sam schwieg. Ihm wurde heiß.
»Der Mann, bei dem du bist, Detective Ethan Dance … Wenn alles vorbei ist, wird er dich erschießen.« Pauls Stimme klang eisig. »Überleg dir gut, was du tust. Überleg dir, was du vorhast. Ich weiß, es geht dir nicht um die antiken Waffen oder die Brillanten. Alles, was du willst, ist in dem Kasten. Du hast dir die falschen Partner ausgesucht. Ich halte den Kasten gerade in meinen Händen. Wenn du ihn willst, dann komm zu mir.«
Wortlos klappte Sam das Handy zu. Dance stieg wieder in den Wagen, fuhr los und fädelte sich in den Verkehr ein.
»Wir müssen zum Privatflugzeugterminal«, sagte Sam.
»Wieso?«, fragte Dance.
»Weil wir ein Problem haben.«
»Scheiße«, fluchte Dance und zog die Pistole. »Dabei haben wir nicht mal angefangen.«
»Wozu brauchen Sie die?«, fragte Sam mit einem Blick auf Dance’ Pistole.
»Für das Problem.«
Um sieben Uhr morgens hatte Paul Dreyfus, unmittelbar nachdem er Sams Plan entdeckt hatte, Shamus Hennicot angerufen und dem alten Mann offenbart, was sich ereignen würde, obwohl er seinen Bruder damit belastete.
Hennicot hatte geantwortet, er solle sich keine Gedanken machen; nur der Kasten sei wichtig. Hennicot gebe ihm freie Hand zu tun, was immer nötig sei, um den Kasten in Sicherheit zu bringen, ehe er Sam oder jemand anderem in die Hände fiele. Die Waffen und die Brillanten, so Hennicot, könnten die Einbrecher ruhig nehmen; sie bedeuteten ihm nichts und seien überdies versichert.
Paul Dreyfus kannte Shamus Hennicot seit fünf Jahren und hatte die Sicherungsanlagen für dessen Häuser und Villen in den verschiedensten Teilen der Welt entwickelt: für Washington House in Byram Hills, für das Landhaus seiner Frau an der Küste von Maine, für sein Château in Nizza, für den selten benutzten Bungalow auf seiner Privatinsel in den Malediven und für sein Sommerhaus am Meer in Massachusetts. Paul und Shamus waren mehr als Freunde geworden, mehr als Vertraute, hatten sich über Herzensangelegenheiten ausgetauscht, über den Verlust geliebter Menschen, über geschäftlichen Erfolg und Misserfolg. Shamus erteilte kluge Ratschläge, aber nur, wenn Paul ihn darum bat.
Paul hatte ihm von seinem Bruder Sam erzählt und dem ständigen Ärger, für den Sam sorgte, doch stets war es Shamus gewesen, der Paul daran erinnerte, dass die Familie das Allerwichtigste sei – eine Bindung, die man weder trennen noch zerbrechen könne. Die Familie sei es, die unser wahres Ich präge, die unsere Wünsche und Bedürfnisse bestimme – aber auch die Fehler, die wir begehen. Shamus erinnerte Paul daran, dass er Sams einzige Verbindung zu seiner Jugend sei, der einzige Mensch, der Sam gekannt habe, ehe er mit den harten Tatsachen des Lebens konfrontiert worden sei, und mit Rauschgift, Trunksucht und Rebellion.
Es war zwei Jahre her, dass Shamus ihn gebeten hatte, den Kasten zu konstruieren. Er brauche etwas, um Familiengeheimnisse wegzuschließen, hatte er gesagt. Eine für Außenstehende unzugängliche Aufbewahrungsmöglichkeit, die zugleich mobil sein müsse.
Paul hatte nie gefragt, was in dem Kasten aufbewahrt und vor der Welt verborgen werden sollte, doch Shamus hatte darauf bestanden, ihn in das Geheimnis einzuweihen. Er war sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hatte Paul gebeten, einem Triumvirat beizutreten, dem Zachariah Nash und er selbst mit angehören würden. Sie sollten jene drei Menschen sein, die den Inhalt des Mahagonikastens kannten und nur gemeinsam Zugriff darauf hatten.
Ein Jahr verbrachte Paul mit der Konstruktion des Kastens und baute Prototypen, die er unter härtesten Bedingungen testete, bis er schließlich das Endprodukt schuf: Es hatte eine zweieinhalb Zentimeter dicke Wandung aus Titan, umhüllt von feuerfestem Nomex und drei Schichten Kevlar. Die Idee stammte von den NASA-Raumanzügen; der Kasten sollte sämtliche Temperatur- und Druckextreme aushalten können und nahezu unzerstörbar sein. Das Schloss
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