Die 2 Chance
es hängt davon ab, was du für mich hast.«
Ohne Zögern spießte Claire ein Stück Huhn auf. »Irgendwie hat es einfach keinen Sinn ergeben, dass ein Schwarzer gegen seine eigene Rasse Hass-Verbrechen begeht, richtig?«
»Richtig«, sagte ich und schob ihr den Salat hinüber. »Was hast du herausgefunden?«
Sie nickte. »Zuerst mal das, was du mir schon gesagt hattest. Keine normalen Abschürfungen oder Verletzungen, wie man sie bei einem Kampf findet. Aber unter den Fingernägeln der Toten waren diese ungewöhnlichen Hautpartikel. Wir haben sie genau untersucht. Hyperpigmentierte Haut. Wie im Bericht stand: ›normalerweise vorhanden bei Nicht-Kaukasiern.‹ Während wir hier plaudern, werden die Proben histopathologisch untersucht.«
»Und was willst du damit sagen?«, fragte ich. »Dass die Person, die die alte Frau tötete, schwarz war?«
Claire beugte sich vor und nahm sich das letzte Stück Hühnerfleisch. »Ich kann verstehen, wie jemand zu diesem Schluss gelangen kann. Wenn nicht Afroamerikaner, dann ein dunkler Latino oder Asiate. Teitleman stimmte mir zu, bis ich auf einen letzten Test bestand.«
Sie blickte mich mit ihren großen braunen Augen kokett an. »Habe ich dir je gesagt, dass ich als Assistent am Moffitt in Dermapathologie gearbeitet habe?«
»Nein, Claire, hast du nicht.« Ich musste lächeln. Sie war einfach Klasse.
»Nein? Ich verstehe nicht, wie wir das übersehen konnten! Also, im Labor schaut man als Erstes nach, ob diese Hyperpigmentation
intra
zellular ist, wie in den Melanozyten, das sind die dunklen Pigmentzellen, die bei Nicht-Kaukasiern sehr viel konzentrierter vorhanden sind, oder
inter
zellular…
im
Gewebe, dort konzentrierter als in der Hautoberfläche.«
»Rede Klartext, Claire. Ist das Subjekt weiß oder schwarz?«
»Melanozyten sind die dunklen Hautzellen, die bei Farbigen konzentriert vorhanden sind«, fuhr sie fort, als hätte ich nichts gesagt. Sie schob die Ärmel hoch. »Hier siehst du Melanozyt-Zentral. Das Problem ist, dass die Probe, die unter den Nägeln der Chipman gefunden wurde, dem nicht entsprach. Sämtliches Pigment war
inter
zellular… Oberflächenkolorierung. Außerdem war noch ein bläulicher Schimmer dabei, atypisch für natürlich auftretendes Melanin. Keinem ordentlichen Dermapathologen wäre das entgangen.«
»Wäre
was
entgangen, Claire?«, fragte ich.
»Dass es kein Schwarzer war, der dieses schreckliche Verbrechen begangen hat«, erklärte sie nachdrücklich. »Sondern ein Weißer mit topischer Pigmentierung.
Tinte
, Lindsay. Die arme Frau hat ihre Nägel in die
Tätowierung
des Mörders gegraben.«
Nachdem Claire gegangen war, hatte mich ihre Entdeckung in Hochstimmung versetzt. Das war ein Knüller. Karen klopfte an die Tür und brachte mir einen gelben Aktenordner. »Von Simone Clark.« Es war die Personalakte, die ich angefordert hatte.
Edward R. Chipman
.
Ich las die Akte.
Chipman hatte als Streifenpolizist im Zentrum Karriere gemacht und war 1994 im Rang eines Sergeants in Pension gegangen. Zweimal hatte er die Auszeichnung für Tapferkeit im Dienst von seinem Captain erhalten.
Bei seinem Foto stockte ich. Ein schmales gemeißeltes Gesicht mit buschiger Afrofrisur, wie sie in den Sechzigerjahren beliebt war. Wahrscheinlich war es an dem Tag aufgenommen worden, als er in den Polizeidienst trat. Ich sichtete den Rest. Was konnte jemanden dazu bringen, die Witwe dieses Mannes zu töten? In seiner Akte war nicht ein einziger Verweis; nichts wegen unangemessener Gewaltanwendung oder sonst irgendetwas. In seiner dreißigjährigen Karriere hatte er nie seine Pistole abgefeuert. Er hatte zu der Polizei-Einheit gehört, die für die Potrero-Hills-Siedlungen zuständig gewesen war. Außerdem war er Mitglied einer Minderheitengruppe, die sich Officers for Justice, Polizisten für Gerechtigkeit, nannte und die sich für die Interessen schwarzer Polizisten einsetzte. Wie die meisten Polizisten hatte Chipman eine dieser stolzen, ereignislosen Karrieren gehabt, nie Ärger, nie unter Beobachtung, nie im Blick der Öffentlichkeit. Nichts in dieser Akte bot auch nur die leiseste Verbindung zu Tasha Catchings oder zu ihrem Onkel Kevin Smith.
Hatte ich in die Sache mehr hineingelesen, als vorhanden war? Handelte es sich überhaupt um Serienmorde? Meine Antenne knisterte.
Ich weiß, da ist was. Los, Lindsay.
Plötzlich wurde ich in die Wirklichkeit zurückgerissen, als Lorraine Stafford an meine Tür klopfte. »Haben Sie eine Minute,
Weitere Kostenlose Bücher