Die 2 Chance
vor mir. Ich rannte noch schneller in die Richtung, aus der ich die Stimme gehört hatte. Der Schütze hockte hinter dem senffarbenen Pontiac.
»Los, nichts wie weg«, schrie er.
Und dann sah ich ihn. Aber ich traute meinen Augen nicht.
Ich fiel meinem Vater in die Arme.
Wir fuhren mit Höchstgeschwindigkeit nach San Francisco und legten fast den ganzen Weg schweigend zurück. Schließlich lenkte mein Vater sein Auto auf den belebten Parkplatz vor einem 7-Eleven-Laden. Immer noch heftig atmend und mit rasendem Herzen, schaute ich ihn an.
»Bist du in Ordnung?«, fragte er so liebevoll, wie ich es mir nur vorstellen konnte.
Ich nickte, war aber nicht so sicher. Ich machte gerade Inventur, wo es wehtat.
Mein Kinn… der Hinterkopf… mein Stolz.
Langsam drangen die Fragen, die zu stellen waren, durch den Nebel.
»Was hast du dort gemacht?«, fragte ich.
»Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Besonders, nachdem jemand versucht hat, deine Freundin Claire zu ermorden.«
Dann der nächste Gedanke. »Bist du mir gefolgt?«
Er berührte meinen linken Mundwinkel mit dem Daumen, um das Blut abzuwischen. »Ich war zwanzig Jahre lang Polizist. Ich bin dir heute gefolgt, seit du nach der Arbeit vom Präsidium weggefahren bist. Okay?«
Das hielt ich im Kopf nicht aus! Aber irgendwie spielte es keine Rolle. Dann kam mir blitzartig ein Gedanke, als ich meinen Vater so anschaute. Irgendetwas passte nicht. Ich erinnerte mich, wie Coombs mich angegrinst hatte. »Er hat gewusst, wer ich bin.«
»Selbstverständlich wusste er das. Du hast ihm schließlich schon von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Du leitest den Fall.«
»Ich meine nicht, vom Fall her«, widersprach ich. »Er kannte dich.«
Mein Vater schien verwirrt zu sein. »Was meinst du?«
»Dass ich deine Tochter bin, das hat er gewusst. Er hat mich Marty Boxers kleines Mädchen genannt.«
Die blinkende Bierreklame des Ladens schien ins Auto und auf das Gesicht meines Vaters.
»Ich habe dir doch erzählt, dass Coombs und ich uns von früher kannten«, sagte er. »Damals hat mich jeder gekannt.«
»Das habe ich nicht gemeint.« Ich schüttelte den Kopf. »Er hat mich Marty Boxers kleines Mädchen genannt. Es ging um
dich
.«
Ich erinnerte mich an die Begegnung mit Coombs am Morgen im Hotelzimmer. Bereits da hatte ich den flüchtigen Eindruck, dass er mich kannte. Dass es etwas z
wischen ihm und mir
gab.
Ich wich zurück. »Warum bist du mir gefolgt?«, fragte ich mit harter Stimme. »Ich muss alles erfahren.«
»Um dich zu beschützen, das schwöre ich. Ein einziges Mal das Richtige tun.«
»Ich bin Polizistin, Dad, nicht deine kleine Butterblume. Du hältst mit etwas hinterm Berg. Irgendwie bist du in diesen Fall involviert. Wenn du ein einziges Mal das Richtige tun willst, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, damit anzufangen.«
Mein Vater lehnte sich zurück und blickte starr geradeaus. Dann atmete er tief ein. »Coombs hat mich angerufen, als er aus dem Gefängnis kam. Irgendwie ist es ihm gelungen, mich unten im Süden aufzuspüren.«
»Coombs hat
dich
angerufen?«, fragte ich total geschockt. »Aber weshalb, um alles auf der Welt, hat er dich angerufen?«
»Er hat mich gefragt, ob ich die letzten zwanzig Jahre meines Lebens genossen hätte, während er eingesperrt war. Ob ich es zu etwas gebracht hätte. Er meinte, jetzt sei es an der Zeit, es mir heimzuzahlen.«
»Heimzahlen? Weswegen heimzahlen?« Kaum hatte ich die Frage gestellt, wusste ich die Antwort. Ich blickte meinem verlogenen Vater in die Augen.
»Du warst in jener Nacht dabei, richtig? Du warst an der Sache vor zwanzig Jahren beteiligt.«
Mein Vater schlug die Augen nieder. Diesen beschämten schuldbewussten Blick hatte ich früher schon gesehen – zu oft –, als ich noch ein kleines Mädchen war.
Er begann zu erklären.
Wieder die alte Leier, Daddy?
»Lindsay, wir waren zu sechst am Tatort. Ich bin rein zufällig dort gewesen, da ich für einen Kollegen eingesprungen bin, für Ed Dooley. Wir kamen als Letzte und haben nichts gesehen. Wir sind hingekommen, als alles schon vorbei war. Aber seitdem macht er uns die Hölle heiß, uns allen.«
Er machte eine Pause. »Ich habe nicht gewusst, dass er die Chimäre ist, Lindsay. Das musst du mir glauben. Von diesem Polizisten
Chipman
habe ich nie zuvor gehört, erst als du mir neulich von ihm erzählt hast. Ich habe geglaubt, dass er nur mich bedroht.«
»Dich bedrohen, Dad?« Ungläubig schaute ich ihn an. »Bedrohen?
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