Die 2 Chance
scharf und rückte mit ihrem Sessel näher heran. »Könntest du das bitte noch mal wiederholen?«
»Ich bin nicht sicher, dass er
mir
gefolgt ist«, wiederholte ich.
»Aber was, zum Teufel, hatte er denn dort zu suchen?« Cindy schüttelte den Kopf.
Die Augen meiner Freundinnen waren auf mich gerichtet.
Ich berichtete Wort für Wort von dem Gespräch mit meinem Vater, das wir nach der Schießerei im Auto geführt hatten. Wie mein Vater, nachdem ich ihn in die Enge getrieben hatte, zugegeben hatte, dass er vor zwanzig Jahren in Bay View ein Hauptzeuge gewesen war. »Er war damals bei Coombs.«
»Scheiße!«, sagte Jill. »O mein Gott, Lindsay.«
»Das war der wahre Grund, warum er zurückgekommen ist«, sagte ich. »All diese aufbauenden Gespräche, dass er sich mit seinem kleinen Mädchen aussöhnen wollte, mit seiner Butterblume. Coombs hat ihn bedroht. Er ist zurückgekommen, um gegen ihn zu kämpfen.«
»Das kann ja sein«, sagte Claire und nahm meine Hand. »Aber das Schwein hat ihn mit dir unter Druck gesetzt. Er ist auch zurückgekommen, um dich zu beschützen.«
Jill verengte die Augen. »Lindsay, dennoch wird das deinen Dad nicht davor schützen, in den Fall verwickelt zu werden. Gut möglich, dass er gewusst hat, dass Coombs Menschen umbringt. Aber er hat geschwiegen.«
Ich schaute ihr in die Augen. »Seit den letzten Wochen, seit er wieder in mein Leben getreten ist, konnte ich plötzlich alles abschütteln, was er getan hatte, die Schmerzen, die er verursacht hatte. Er war einfach ein Mensch, der ein paar Fehler begangen hatte, der aber lustig war und der jemanden brauchte. Er schien so glücklich zu sein. Als Kind habe ich oft geträumt, dass mein Dad zurückgekommen wäre.«
»Gib die Hoffnung an ihn noch nicht auf«, sagte Claire.
»Lindsay, wenn du glaubst, dein Vater sei
nicht
wegen dir zurückgekommen, was beschützt er dann?«, fragte Cindy.
»Ich habe keine Ahnung.« Ich schaute in die Runde, in jedes Gesicht. »Das ist die große Frage.«
Jill stand auf, ging zu einem Aktenschrank hinter ihrem Schreibtisch und holte einen großen Karton heraus. Auf dem Etikett stand:
Fall 237654A. Der Staat Kalifornien vs. Francis C. Coombs.
»Ich weiß es auch nicht, aber ich wette, die Antwort steckt irgendwo hier drin.« Sie deutete auf den Karton.
Als Jill am nächsten Morgen zur Arbeit kam, machte sie sofort den Karton mit den alten Akten auf. Sie gab ihrer Sekretärin die Anordnung, keine Gespräche durchzustellen und alle Termine abzusagen, die ihr gestern noch wichtig erschienen waren.
Jill stellte einen Becher Kaffee vor sich auf den Schreibtisch, hängte ihre Kostümjacke über den Sessel und holte den ers-ten schweren Aktenordner aus dem Karton. Umfassende Prozessakten: seitenlange Zeugenaussagen, Einsprüche und Richterentscheidungen. Eigentlich wäre es besser, wenn sie nichts finden würde, damit Marty Boxer der Vater blieb, der zurückgekommen war, um sein Kind zu beschützen. Aber als Staatsanwältin war sie davon nicht überzeugt.
Sie stöhnte und begann zu lesen.
Der Prozess hatte neun Tage gedauert. Sie brauchte den gesamten Vormittag, um alles zu lesen. Da waren die Vorverfahren, die Wahl der Geschworenen, Klagebegründungen. Coombs’ bisherige Personalakte kam zur Sprache. Zahllose Verwarnungen wegen übertriebener Härte und Fehlverhalten im Dienst, wenn Schwarze beteiligt waren. Coombs war bekannt für seine rassistischen Witze und verächtlichen Bemerkungen. Dann folgte die gewissenhafte Rekonstruktion des betreffenden Abends: Coombs und sein Partner, Stan Dragula, sind auf Streife in Bay View. Sie sehen auf einem Schulhof ein Basketballspiel. Coombs entdeckt Gerald Sikes. Sikes ist ein ordentlicher Junge, behauptet die Anklage, geht regelmäßig zur Schule, spielt im Schülerorchester. Einziger dunkler Punkt: Bei einer Razzia in der Siedlung hatte man ihn vor zwei Monaten festgenommen.
Jill las weiter.
Coombs unterbricht das Spiel und verhöhnt Sikes. Die Situation wird heikel und hässlich. Zwei weitere Streifenwagen treffen ein. Sikes schreit Coombs etwas zu, dann rennt er davon. Coombs folgt Sikes. Jill studierte mehrere handgezeichnete Skizzen, die den Tatort verdeutlichen. Nachdem die Anwesenden beruhigt worden waren, nehmen zwei weitere Polizisten die Verfolgung auf. Streifenpolizist Tom Fallone holt Coombs als Erster ein.
Aber da ist Gerald Sikes bereits tot.
Die Prozessakten sind über dreihundert Seiten stark… Siebenunddreißig Zeugen. Eine echte
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